So diskutiert die Finanzbranche Schweiz über PSD2 und Open Banking

Diskussion in der Schweiz zu PSD2 und Open Banking
Bild: Mukhina1 | Getty Images

Unsere Oktober-Serie "Fokus Schweiz | Meinungen zur PSD2 und zu Open Banking" zeigt Übereinstimmungen und völlig unterschiedliche Auffassungen. Die Momentaufnahme und das Zeitdokument zur Zukunft des digitalen und kundenzentrierten Bankings.


Wie steht die offizielle Schweiz zur PSD2 und zu Open Banking?

Bereits vor einem Jahr, im November 2016, haben wir mehrere offizielle Stellen zum Thema befragt. Zu diesem Zeitpunkt standen die Flaggen bei allen befragten Stellen auf "Abwarten und Beobachten". Konkret bei EDF/SIF, FINMA, SBVg und bei SIX. Eine gemeinsame Haltung zum Vorgehen war nicht vorhanden, ebenso wenig ein Anspruch auf Themenführerschaft.

Und heute?
Die erneute Anfrage im Herbst 2017 bei EDF/SIF und bei SIX hat ergeben, dass Fragen zu den Auswirkungen der PSD2-Richtlinie für die Schweiz aktuell Gegenstand laufender Abklärungen wären, dass man sich deshalb momentan zum Thema nicht äussern möchte. Auch von der FINMA war kein Statement zu bekommen.

Anders die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg), diese hat ihre Haltung gefunden, definiert und im September 2017 mit einem Positionspapier konkret Stellung bezogen. Die SBVg lehnt die PSD2 oder eine PSD2-analoge Regulierung für die Schweiz klar ab und will auf marktgerechte Lösungen ohne PSD2 setzen – mit dem Hinweis, dass Open Banking in der Schweiz bereits von allen Banken praktiziert würde.

Wie stehen Branchenexperten zur PSD2 und zu Open Banking?

Ein guter Zeitpunkt, die Schweizer Finanzbranche zum Thema zu befragen. Wie sehen Branchenexperten die Auswirkungen der PSD2 und die Bedeutung von Open Banking für die Schweiz? Exponenten aus dem Umfeld von Banken, FinTechs, Verbänden, Beratung, Medien und Recht haben im Oktober 2017 Stellung zu einem wegweisenden Thema bezogen. Hat die Schweiz eine gemeinsame Haltung? Oder prallen völlig unterschiedliche Auffassungen aufeinander? Eine kurze Zusammenfassung zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeiten.

Es gibt Übereinstimmung

Dass die PSD2 als Beschleuniger für Open Banking betrachtet werden kann, bestreitet niemand. Ebenso wenig, dass die PSD2 über Open Banking Auswirkungen auf Märkte, Banken, FinTechs, Geschäftsmodelle, Kundenwünsche und damit auf das digitale Banking der Zukunft haben wird. Mit diesen beiden Übereinstimmungen beginnen sich die Meinungen der Experten dann graduell oder auch grundsätzlich zu unterscheiden.

Und es gibt unterschiedliche Auffassungen

Steht die Schweiz mittendrin oder noch am Anfang?
Über Stärke, Tiefe und Geschwindigkeit der kommenden Veränderungen bestehen sehr unterschiedliche Auffassungen. Sind die einen der Meinung, dass die Schweiz im Open Banking bereits heute sehr aktiv vorne mitspielt, denken die anderen, dass Auswirkungen noch nicht wirklich erkannt und notwendige Massnahmen zu klein gesehen und gedacht werden.

Gibt es Unterschiede in Definitionen und Bedeutung?
Die Auswertung der Antworten zeigt, dass der Begriff "Open Banking" (in der Tiefe) nicht für alle Exponenten dasselbe Gewicht oder dieselbe Bedeutung hat. Diese Unterschiede lassen sich auch auf Teilaspekte herunterbrechen: Was die einen als Innovation betrachten, ist für andere blosser Standard. Denkt ein Teil der Befragten, in Sachen Digitalisierung-Strategie voll im Programm unterwegs zu sein, unterstellt ein anderer Teil, dass der Paradigmenwechsel in den Köpfen der Verantwortlichen noch nicht wirklich angekommen ist.

PSD2-analoge Regulierung im "Swiss Finish"?
Uneinigkeit herrscht auch darüber, ob eine PSD2-analoge Umsetzung für die Schweiz notwendig und sinnvoll sein kann. Von den einen klar abgelehnt, sind andere der Meinung, dass eine angepasste Regulierung für die Schweiz bessere Voraussetzungen schaffen würde. Zumal heute noch bestehende Lücken, Unklarheiten, Widersprüche oder Sicherheitsrisiken der PSD2 durch eine durchdachte und "perfekte" Regulierung im "Swiss Finish" ersetzt werden könnten. Dadurch wären Leitplanken und nutzbare Spielfelder für alle Teilnehmer klar definiert, neue Vorteile nutzbar und damit würde auch ein starkes Signal und Bekenntnis des Schweizer Finanzplatzes nach aussen gesendet.

Commitment und gemeinsame Richtlinien?
Generell wird ein gemeinsames Commitment und eine gemeinsame Stossrichtung von den einen als wichtig erachtet, während andere darauf vertrauen, dass der Markt von sich aus spielen wird. Die Verantwortung soll weniger beim Finanzplatz Schweiz, mehr individuell bei den einzelnen Banken und Finanzdienstleistern liegen.

Das Argument der fehlenden Themenführerschaft wird von einzelnen Exponenten mit der Feststellung etwas entschärft, dass sich Banken (und auch FinTechs) heute sehr viel stärker als noch vor einigen Jahren laufend untereinander selbst organisieren und gemeinsam Dinge auf die Beine stellen.

Agieren oder reagieren?
Die Haltung der zurückhaltenden Exponenten, "Abwarten und aus den Erfahrungen der EU lernen", wird von den progressiveren Experten nicht grundsätzlich infrage gestellt, eher mit dem Vorschlag "das eine tun und das andere nicht lassen" beantwortet. Auf dieser Seite herrschen die Bedenken vor, dass durch zu langes Abwarten wertvolle Zeit und möglicher Vorsprung verloren gehen und die Schweiz dadurch ins Hintertreffen geraten könnte. Zumal sich die besten Leute und auch FinTechs jetzt und heute am Puls des Geschehens orientieren und dort andocken (Profis und Spezialisten) oder sich dort niederlassen (FinTechs), wo aktuell die Musik spielt. Zahlreiche Experten befürchten deshalb, dass hervorragende Fachleute wie auch FinTechs mit ihren Innovationen nicht abwarten, wie die Schweiz, sondern einen Bogen um unser Land machen werden.

Die differenzierte Meinung aller befragten Exponenten innerhalb unserer redaktionellen Serie kann jederzeit in voller Länge nachgelesen werden:

Auf einen Blick: Exponenten und Statements

Unsere Serie, gewissermassen im Zeitraffer – jeweils nur ein herausgegriffenes Statement der einzelnen Exponenten in der Gegenüberstellung und Zusammenfassung:

«Es hängt ganz stark davon ab, ob die im Positionspapier (der SBVg) aufgeführte «freiwillige Investition» für das Thema Open Banking ernst genommen wird. Nur so kann die Schweiz mittelfristig kompetitiv bleiben.»
Dr. Richard Dratva von Crealogix

«Die Digitalisierung macht an der Landesgrenze keinen Halt.»
Marianne Wildi von der Hypothekarbank Lenzburg

«Wenn die Schweiz künftig innovative FinTechs, vielleicht sogar Leuchttürme, und moderne Bankdienstleistungen haben will, geht das mit Abschottung nicht.»
Rino Borini von Financialmedia & Finance 2.0

«Open Banking wird – unabhängig einer Regulierung – auch in der Schweiz die Innovation vorantreiben, wenn die Kunden die damit verbundenen Möglichkeiten im Ausland erleben und zu Hause von den eigenen Banken fordern.»
Dr. Cornelia Stengel von Swiss FinTech Innovations & Kellerhals Carrard

«Auch PSD2 wird grosse Auswirkungen haben, aber nicht wie gewünscht für die europäischen Fintechs, sondern für global agierende Tech-Giganten.»
Andreas Kubli von UBS Schweiz

«Die Banken in der Schweiz stehen vor einer Weggabelung: Weiter Verhinderungstaktik mit etwas Innovationstheater kaschieren und damit den unaufhaltsamen Abstieg in die Bedeutungslosigkeit beschleunigen. Oder sofort umschwenken und kundenrelevante Innovation (zum Beispiel in skalierbaren Open Banking-Architekturen) ins Zentrum ihrer digitalen Legitimation stellen.»
Patrick Comboeuf von Ifolor

«Der Druck der Kunden auf eine Öffnung der Schnittstellen wird aus Sicht von e-foresight weiter zunehmen, vor allem im Zusammenhang mit neuen Lösungen, welche durch die PSD2 im europäischen Raum entstehen könnten.»
Daniel P. Steingruber & Philipp DeAngelis von e-foresight Swisscom

«Auch wenn wir es noch schaffen, den Schweizer Markt für eine gewisse Zeit abzuschotten, ist es eine Frage der Zeit, bis der Druck so stark steigt, dass wir eine PSD2-analoge Regulierung übernehmen werden. Die Institute, welche sich heute diesbezüglich eine klare digitale Strategie zurechtlegen, werden dann bereit sein. Für die anderen sehe ich leider keine rosige Zukunft.»
Andreas Iten von F10 FinTech Incubator & Accelerator

«In 5 Jahren wird es in Europa selbstverständlich sein, dass Kunden ihre Dienstleister aus einem Ökosystem auswählen können und einige Banken werden sich als skalierbare Plattformen etabliert haben.»
Dr. Daniel Kobler & Dr. Stefan Bucherer von Deloitte Schweiz

«Banken engagieren sich für innovative Lösungen und integrieren sie zum Vorteil ihrer Kunden in ihre Angebotspalette, zum Beispiel mit der Verknüpfung von Buchhaltungssoftware mit e-Banking oder auch mit Twint. Für mich ist das Open Banking par excellence.»
Dr. Martin Hess von der Schweizerischen Bankiervereinigung SBVg

«Derzeit klingt es allerdings so, als wolle man sich einer Öffnung ganz verschliessen. Das halten wir für bedenklich, da dies der Innovationskraft des Standorts schaden könnte.»
Gian Reto à Porta von Swiss Finance Startups & Contovista

«Es zeichnet sich schon jetzt ab, dass gewisse Aspekte von PSD2 in offenem Widerspruch zu anderen EU-Regelwerken stehen. Daher kann man bis auf weiteres nur gespannt sein, wie eine (Finanz-) Welt aussieht, in welcher diese Widersprüche aufgelöst worden sind.»
Felix Wenger von Raiffeisen Schweiz

«Im gegenwärtigen Zeitpunkt teile ich die Auffassung, dass keine PSD2-analoge Regulierung in der Schweiz eingeführt werden sollte. Ich sehe in der fehlenden Regulierung zurzeit einen Vorteil. Denn der Teufel liegt tatsächlich im Detail.»
Dr. Jana Essebier von Vischer

«Für den Finanzplatz Schweiz birgt Open Banking eine enorme Chance. Finanzdienstleister können ganz ohne regulatorischen Druck von den EU-Instituten lernen und von deren Erfahrungen profitieren – sei es durch die Marktentwicklung oder Standardisierungsinitiativen.»
Hakan Eroglu von Accenture

«Der Bankenplatz stellt sich tot. Das wird neue Anbieter nicht fernhalten.»
Lukas Hässig von Inside Paradeplatz

«Ich denke, dass wir kurzfristig zu viel erwarten – langfristig jedoch noch nicht abschätzen können, was sich alles ändern wird.»
Christoph Hartgens von Bank Julius Bär

«Es besteht die Gefahr, dass die innovativen Ideen im Ausland statt in der Schweiz umgesetzt werden, und die Schweiz den Zug verpasst.»
Dr. Adriano Lucatelli von Descartes Finance

«Abwarten, wie sich die Nachfrage entwickelt und dann regulieren? Macht vielleicht Sinn. Fit machen sollte sich aber jeder, im eigenen Interesse und unabhängig von PSD2.»
Roland Zwyssig von Aduno Gruppe

«Die Geschwindigkeit der Entwicklungen in diesem Bereich lassen aber erahnen, dass sich Banking in fünf Jahren fundamental verändern und Open Banking der Standard sein wird.»
Sven Goeggel & Roger Disch von EY Schweiz

«Aus unserer Sicht ist OpenBanking die Grundlage für einen innovativen Finanzplatz der Zukunft. Schweizer Fintech Startups müssen über die Landesgrenzen hinaus denken um erfolgreich wachsen und skalieren zu können - OpenBanking ist eine wichtige Grundlage für gleich​ ​lange​ ​Spiesse​ ​im​ ​europäischen​ ​Vergleich.»
Vorstand Swiss Finance Startups, Gian Reto à Porta, Christina Kehl, Urs Haeusler, Thomas Brändle

Was soll unsere Oktober-Serie bewirken?

Die Wirkung einer Serie geht weit über die interessanten Aspekte der publizierten Einzelfolgen hinaus. Unsere im Oktober 2017 durchgeführte Befragung und die redaktionelle Serie Fokus Schweiz | Meinungen zur PSD2 und zu Open Banking (publiziert vom 4. bis 31. Oktober 2017) ist motiviert durch drei Punkte:

Das Meinungsbild der Schweizer Finanzbranche
Einzelmeinungen sind überall zu hören und zu lesen. Die Meinung der Finanzindustrie gab es nicht und wird es auch in Zukunft nicht geben – erstmals ein gültiges und aktuelles Stimmungsbild der Schweizer Finanzbranche durch unsere Serie jedoch schon. Deshalb haben wir einen eher breiten Querschnitt gewählt und Exponenten aus allen wichtigen Lagern (Banken, FinTechs, Verbände, Beratung, Medien und Recht) um ihre Meinung gebeten.

Ein Beitrag zur Intensivierung der Diskussion
Die relevanten Themen rund um PSD2 und Open Banking müssen breit diskutiert werden – um im Idealfall aus Einzelmeinungen eine gemeinsame Haltung formen zu können. Ein Commitment und damit eine klare Haltung, wie der Finanzplatz Schweiz die Entwicklungen der Zukunft mitgestalten möchte. Verschiedene Positionen zu kennen bringt eine breitere Diskussion in Gang und kann helfen, die eigene Meinung zu überprüfen oder klarer zu bilden.

Die historische Dimension ist interessant
Wie haben Finanzexperten und Exponenten aus unterschiedlichen Lagern im Oktober 2017 die Bedeutung und Auswirkungen der PSD2 für die Schweiz und die Entwicklung von Open Banking in unserem Land beurteilt? Und was zeigt uns die Realität in zwei oder drei oder fünf Jahren? Übereinstimmungen oder ganz anders verlaufende Entwicklungen sind überprüfbar und bleiben mit den Einschätzungen vergleichbar.

Deshalb bleiben unterschiedliche Meinungen und Betrachtungen der verschiedenen Exponenten online und können einzeln jederzeit nachgelesen werden: