Chatbot

Kann man den Chatbot fürs eigene Unternehmen selber bauen?

Carmina Jaro, Head Professional Services (VP) bei Enterprise Bot, Zug

Ja, sagt Expertin Carmina Jaro. Zumal es ein Erlebnis sein kann, einen Chatbot selber zu erschaffen, um erste Erfahrungen zu sammeln. Damit der Versuch gelingt, Tipps und Hinweise aus der Praxis, auf was Chatbot-Bauer achten sollten.

Ein Chatbot fürs eigene Unternehmen? Um verbesserte Kundenerlebnisse zu erzielen, Kosten zu senken, wiederholende Anfragen zu automatisieren – wir wünschen uns Chatbots für alles Mögliche.

Chatbots sind the new Black und die neuen Apps. Darüber herrscht Einigkeit.

Nur: Wie bekomme ich meinen eigenen Chatbot? Entweder baue ich ihn gleich selber oder ich beauftrage jemanden damit. Mit etwas Recherche auf Youtube, ein wenig IT-Ressourcen und einigen eingepflegten Dialogen, kann sich jeder für seine Firma einen Chatbot bauen.

Wege zum smarten Chatbot

Das ist ein Anfang, aber nicht unbedingt der einfachste Weg – und schon gar nicht ein Garant für einen adressatenorientierten, smarten Chatbot. Deshalb als Hilfe einige Tipps und Hinweise, welche den Weg zum ersten selbsterschaffenen Chatbot etwas ebnen können:

Welche Themen sind beim Bau eines Chatbots wichtig und deshalb zu beachten?

Konversationsfluss

Ein Konversationsfluss liegt dann vor, wenn sich Gesprächspartner auf natürliche Weise verständigen und sich mit Leichtigkeit von einem zum nächsten Thema bewegen. Dies ist dann auch der anspruchsvollste Teil bei der Bereitstellung eines Chatbots. Eine einfache Chatbot-Konversation mag für einen begrenzten Bereich mit einem Datenset dank einiger Regeln funktionieren. Allenfalls wird der Chatbot sogar Ihr Management beeindrucken, wenn man bedenkt, dass Sie dafür nur einige wenige Tage aufgewendet haben. Doch was passiert dann?

Der erste positive Eindruck wird leider bald Unzulänglichkeiten und Ärgernissen weichen, sobald ein Wort nicht erkannt wird, da es nicht Teil des bekannten Datensatzes ist. Natural Language Processing (NLP) kann hier Abhilfe schaffen. Allerdings bedarf NLP artifizieller Intelligenz, inklusive Vektoranalyse und Datenerschaffung, um den Chatbot fit zu machen für den Konversationsfluss eines Menschen. Spätestens hier dämmert die Erkenntnis, dass der 2-Tages-do-it-yourself-Chatbot ziemlich sicher nicht dem Praxistest mit Ihren Kunden standhält.

Kontextbezogenes Agieren

Als Gesprächsteilnehmer erwarten wir von unserem Gegenüber, dass es sich im Kontext bewegen kann. Mit anderen Worten, wir wollen einen Chatbot, der schlau genug ist, um die Konversation den jeweiligen Bedürfnissen anzupassen. Kurz, er soll individualisiert sein. Dazu bedarf es Modulen, die dem Kontext einer Konversation mit dem Benutzer genügen. So muss der Chatbot intelligent genug sein, um bei einem bestimmten Vorfall den nächsten Schritt zu antizipieren. Wenn der Benutzer beispielsweise mitteilt, dass er nicht auf Outlook zugreifen kann, so fragt ihn der Chatbot, wie lange er dieses Problem bereits habe, um Zusatzinformationen zu gewinnen und damit die Ursache des Problems einzugrenzen. Ein Chatbot ist folglich erst effizient und effektiv, wenn er kontextbezogen agiert.

Branchenspezifischer NLP-Korpus

Einige grössere Unternehmen trainieren ihre Modelle in Wikipedia oder anderen Open Source-Bibliotheken. Die Gefahr dabei ist, dass Ihr Chatbot anschliessend zwar weiss, wann das Endspiel der Fussballweltmeisterschaft stattfindet, hingegen kein industrie- bzw. branchenspezifisches Vokabular vorweisen kann und schon gar nicht dessen Nuancen kennt. Ein solider Chatbot braucht deshalb einen branchenspezifischen NLP-Korpus, damit er die Umwelt, in der er agiert, kennt. Nur so verfügt er über spezifische Fähigkeiten und Kenntnisse für individuelle Kundenbedürfnisse, zum Beispiel im Bank- oder Versicherungswesen.

Maschinelles Lernen

Etwa 60 Prozent der Anfragen in einem Kundencenter können ohne Mühe direkt mit einem Chatbot automatisiert werden. Was passiert jedoch mit dem Rest? Unterstützend hilft dabei der Einsatz von Machine Learning (ML). Dies trainiert die Genauigkeit des Chatbots bei der Beantwortung von Fragen, indem er aufgrund der Vielzahl von Fragen und Antworten innerhalb von kurzer Zeit dazulernt.

Nahtlose Verbindung zum Live-Agenten

Auch wenn der Chatbot fit und gut ist, Fakt bleibt, dass es immer Fragen geben wird, die Ihr Chatbot nicht beantworten kann. Das wird sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern. Deshalb ist es für die Kundenzufriedenheit evident, dass Sie eine nahtlose Verbindung vom Chatbot zum Live-Agenten anbieten. Das Gespräch wird von der Telefonistin oder dem Telefonisten weitergeführt, Menschen übernehmen ab dem Punkt, wo der Chatbot angestanden ist – durch den Zugriff auf die gesamten Chat-Protokolle vollständig informiert und deshalb nahtlos. Die Notwendigkeit einer wiederholten Beantwortung derselben Fragen durch den Kunden ist somit systembedingt ausgeschlossen. Da ein optimales Kundenerlebnis das bestmögliche Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine bedingt, bedarf jeder Chatbot einer Back-End-Konnektivität zum menschlichem Support.

Vor-Ort-Infrastruktur vs. Cloud-basierte Lösungen

Trotz der Zunahme und generell hoher Popularität von Cloud-basierten Lösungen über API, mag dies vielleicht nicht die gewünschte Lösung für Ihre Branche sein. Regulatorische Gründe können beispielsweise bei Banken oder Versicherungen verschiedener Länder gegen die Verwendung einer Cloud-basierten Lösung sprechen. Deshalb ist es notwendig, mit dem Compliance-Verantwortlichen abzuklären, ob eine Vor-Ort-Infrastruktur vorzuziehen ist.

Geschafft?

Sind alle aufgeführten Punkte gemeistert und ist der Chatbot mit den notwendigen Skills ausgerüstet, haben Sie es geschafft. Sie dürfen sich freuen und die Benutzerreaktionen auf Ihren Chatbot mitverfolgen. Ein Erlebnis ist es definitiv, einen eigenen Chatbot zu kreieren. Deshalb möchte ich Sie grundsätzlich ermuntern, den Versuch zu wagen und selber einmal einen Chatbot zu erschaffen. Je nach Adressatenkreis und angepeilter Kundenwirkung ist es jedoch empfehlenswert, sich ausreichende Fachkenntnisse anzueignen, um die neusten, anspruchsvollen Technologien zu meistern.

Wenn Sie mehr über Chatbots erfahren möchten, zum Beispiel wie sie erschaffen und eingesetzt werden können, um kritische Vorgänge in Ihrem Unternehmen zu optimieren, Kosten zu senken und vor allem um die Kundenzufriedenheit zu erhöhen, stehe ich Ihnen gerne Rede und Antwort.

Die Autorin: Carmina Jaro

Carmina Jaro ist als Head Professional Services (VP) bei Enterprise Bot mit Sitz in Zug engagiert. Davor war sie in New York bei einem Chatbot-Unternehmen tätig, welches auf die Finanz- und Versicherungsindustrie fokussiert.

Ihre berufliche Karriere begann Carmina Jaro vor über zehn Jahren im Bereich Sprachtechnologie bei SVOX. Ein Zürcher Startup, das nach einigen Jahren aufgrund seines Erfolges vom Konkurrenten Nuance, der globalen Nummer eins, gekauft wurde.

Bei Nuance betreute Carmina Jaro in verschiedenen Führungsrollen Grosskunden in den Märkten USA, Europa und Asien. Sie hat Linguistik an Universitäten in Spanien, in England und in der Schweiz studiert.