Diversity & Marketing

Holy Shit: Zwei junge Pfarrerinnen treten mit Frische und Humor gegen angestaubte Kirchenstrukturen an

Priscilla Schwendimann, Pfarrerin in Zürich & Claudia Steinemann, Pfarrerin in Kölliken
Priscilla Schwendimann, Pfarrerin in Zürich & Claudia Steinemann, Pfarrerin in Kölliken (Bild: Youtube)

Ob's der Herr richten wird? Das bleibt noch offen – sicher ist: mit Claudia und Priscilla bekommt die Kirche eine neue Sprache und ein neues Gesicht.

Pfarrerin war im ursprünglichen Lebensentwurf nicht vorgesehen – weder bei Claudia Steinemann noch bei Priscilla Schwendimann. Umwege haben beide dennoch in die Kirche geführt, Claudia ist Pfarrerin auf dem Land, Priscilla in der Stadt.

Ein Gewinn für die Kirche sind beide. Die Kirchenaustritte haben 2020 einen Höchststand erreicht, in der refomierten wie auch in der katholischen Kirche. Das mag zahlreiche Gründe haben – mit dazu gehört sicher auch, dass Kirchen und deren Vertreter oftmals in einer eher grossen Distanz zu ihren Mitgliedern operieren. Die hoffnungsfrohe Botschaft, "der Herr wird's richten", genügt als Lebenshilfe schon längst nicht mehr. Haben Kirchen und haben Pfarrer auf der Kanzel keine wirklich praktikablen Antworten auf die Fragen und Probleme von Menschen im realen Leben und Alltag, wird's eben eng.

Eine neue Generation von Pfarrerinnen

Priscilla und Claudia verlesen nicht papieren und spröde Gottes Wort von der Kanzel herunter, sie bringen ihre Persönlichkeit, ihre Erlebnisse und ihren eigenen Alltag in ihre Mission mit ein. Mit einer Offenheit, die überrascht. Das macht sie nahbar. Sie wagen auch den Versuch, Kirche und Bibel neu und anders zu interpretieren. Beide fordern nicht blinden Glauben ohne Belege, sie bieten konkrete Erklärungen, Betrachtungsvorschläge und Denkanstösse. Damit schlagen die Pfarrerinnen begehbare Brücken zu Menschen, Zweiflern und auch zu Verzweiflern. Weil sie selbst jung sind, Priscilla 28, Claudia 33, erreichen sie auch junge Menschen.

Fazit: die Kirche entdeckt Marketing. Wobei Claudia Steinemann und Priscilla Schwendimann eigentlich kein Marketing betreiben, sie bringen einfach sich selbst in ihren Job und und ihre Berufung mit ein. Die Wirkung ist jedoch dieselbe, als wär's Marketing, nur glaubwürdiger und ohne doppelten Boden.

Holy Shit – Kirche in anders

"Holy Shit" ist der Youtube-Kanal von Priscilla und Claudia. Seit zwei Monaten erklären die beiden Pfarrerinnen in Videos das Leben, die Welt, Gott, ADS, die Kirche, Borderline, Diversität, die Bibel, Homosexualität und mehr. Nicht distanziert oder doktrinär von der Kanzel heruntergedonnert, sondern nahbar auf Augenhöhe, frisch, immer mit praktikablen Bezügen zum Alltag und zu ihrem eigenen Leben.

Das ist oftmals sehr lustig (zum Beispiel im Video "Steht das in der Bibel?! – Game of Quotes"), immer informativ, ganz sicher anregend und zuweilen auch sehr berührend. Letzteres auch und besonders im Video "Pfarrerin und lesbisch?! – Priscillas Geschichte".  Wir von der Redaktion haben noch nie jemandem aus kirchlichen Kreisen so sehr gemocht wie Priscilla Schwendimann beim Erzählen ihrer eigenen Geschichte.

Das alles segelt unter der selbstironischen Flagge: "Macht die Kirche eigentlich auch was richtig?". Vieles nicht. Einiges aber schon. Und seit Erfindung von "Holy Shit" und mit dem frischen Wind von Priscilla und Claudia sogar deutlich mehr als auch schon.

Die dritte im Bunde ist Sophia. Sie bezeichnet sich als «theologieinteressierte Agnostikerin», steht hinter der Kamera, sitzt am Schnittplatz und bringt die Videos der beiden Pfarrerinnen in Form und zur Ausstrahlungsreife.

Die Produktionen des mutigen Trios kommen sehr gut an, bei vielen. Sie stossen zuweilen auch auf Widerspruch, was durchaus erwünscht ist. Die Pfarrerinnen der neuen Generation nehmen für sich nicht den kirchlichen Schutzschild der Unfehlbarkeit in Anspruch, sie sind diskussionsbereit. Um die Pfade von Leben, Glauben, Zweifel und Kirche begehbar zu machen, gemeinsam und im Dialog mit ihren Zuschauerinnen und Zuschauern.

Diese Form von Offenheit, eigener Involviertheit und Wahrhaftigkeit ist neu – Kirche in anders eben.