Für Crealogix gehen in der Schweiz die Lichter aus – und wie es dazu kommen konnte

Bürogebäude im Dunkeln mit nur drei erleuchteten Fenster
Bild: Getty Images | Westend61

Für jene Lichter, die anbleiben, kommt der Strom neu von der britischen Vencora, welche die Software-Schmiede übernehmen wird.

Ganz überraschend kommt der Verkauf nicht, einschneidend ist die Transaktion dennoch. Crealogix ist eines der ältesten FinTechs in der Schweiz, wahrscheinlich das erste überhaupt. Gegründet zu einer Zeit, 1996, als es den Begriff FinTech noch nicht mal gab.

Lange Jahre als Herstellerin von innovativer Bankensoftware im Aufschwung und aggressiv in den Märkten am Ball, war Crealogix in den letzten Jahren eher auf dem absteigenden Ast. Sinkende Einnahmen, Personalabbau und wegschmelzende Liquidität waren Indikatoren dafür, dass es harkt und für das Traditions-FinTech nicht mehr läuft wie geschmiert und früher gewohnt.

Der nun eingetütete Verkauf ins Ausland ist nicht als freiwilliger Exit der Firmengründer zu werten, die vier Gründer folgen dem Druck der Entwicklung und ziehen ihrem FinTech den Schweizer Stecker.

Ein Deal in trockenen Tüchern

Wie die Bankensoftware-Entwicklerin informiert, liegt ein Barangebot des britischen Technologie-Unternehmens Vencora vor. Als Unternehmensgruppe der kanadischen Constellations Software ist Vencora in 70 Ländern mit 1'300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aktiv und betreut rund 1'800 Kunden in der Banken- und Versicherungsbranche. Das Unternehmen ist damit deutlich grösser als Crealogix und hat offenbar die Finanzkraft und die Möglichkeiten, das Schweizer FinTech wieder auf Kurs zu bringen.

Das Barangebot von Vencora liegt bei CHF 60 pro Aktie, was einer Unternehmensbewertung von rund CHF 84 Millionen entspricht. Der Verwaltungsrat von Crealogix demonstriert Einigkeit und empfiehlt den Aktionären, das Angebot anzunehmen. Der Deal ist jedoch bereits in trockenen Tüchern, weil die Gruppe der Gründer und Mehrheitsaktionäre sich bereit erklärt hat, ihre Crealogix-Aktien gleichzeitig an Vencora zu verkaufen.

Diese Hauptaktionäre halten mit 725'746 Aktien 51.66 Prozent der Anteile. Zu dieser Gruppe gehören die Firmengründer Richard Dratva, Daniel Hiltebrand, Bruno Richle, Peter Suesstrunk sowie die Mayfin Management Services in Spanien.

Der Angebotsprospekt für die übrigen Aktionärinnen und Aktionäre soll Anfang Dezember veröffentlicht werden, die Angebotsfrist endet am 18. Januar 2024. Ob weitere Aktionäre zustimmen oder nicht, wird jedoch am Resultat nichts ändern, die Hauptaktionäre haben den Deal bereits besiegelt und sich verpflichtet, ihre Anteile an Vencora abzutreten.

Das Ende einer Schweizer FinTech-Legende

Der Ritterschlag der "Legende" mag etwas hochgegriffen sein, ganz unberechtigt ist er nicht. Mit Crealogix geht ein weiterer Spezialist für Bankensoftware in ausländische Hände, der die Landschaft der Banken durch innovative Finanzsoftware-Lösungen lange Zeit stark mitgeprägt hat.

Sollten sich die herumgereichten Gerüchte um Temenos bewahrheiten, dass Verkaufsabsichten bestehen, würde auch das Genfer Unternehmen den Weg gehen, den Avaloq, Finnova und nun auch Crealogix schon gegangen sind. Dann bleibt nur noch Inventx als Schweizer Unternehmen mit Bankensoftware-Lösungen übrig.

Die Schweiz ist international aufgestellt, keine Frage. Aber im Bereich Finanz- und Bankensoftware Know-how und Kompetenz im "eigenen Haus" zu behalten, ist nicht in erster Linie eine romantische Vorstellung, sondern vor allem eine sehr gute und vitale Idee. Die letzten Jahre haben exemplarisch gezeigt, dass Abhängigkeiten in zentralen Bereichen Länder und ihre Wirtschaft schwächen.

Der Verkauf ins Ausland ist für Crealogix offenbar unvermeidbar, dem Unternehmen geht der Cash aus. Das dürfte allerdings nicht einzig und allein an allgemeinen Marktsituationen und schwierigen Umfeldern liegen, da spielen weitere Faktoren mit.

Die Umstellung des Lizenzmodells auf Software-as-a-Service vor einigen Jahren war grundsätzlich eine gute Idee, reisst jedoch erstmal Löcher in die Kasse. Geld fliesst wohl kontinuierlich im Abo-Modell, aber erstmal in dünneren Strömen, weil der Umsatz der "grossen Brocken" wegfällt. Den notwendigen langen Atem für den Turnaround hat Crealogix offenbar nicht, dem Unternehmen ist die Liquidität dahingeschmolzen.

Eine Personalie dürfte mit zum beschleunigten Niedergang des Unternehmens beigetragen haben. Thomas Avedik war als Chef des Schweizer Digital-Banking-Geschäfts acht Jahre lang der erklärte Hexenmeister der grossen Abschlüsse im Neugeschäft und damit Garant für wachsende Umsätze und Profitabilität der Crealogix. Nach vier weiteren Jahren als Gruppen-CEO hat sich Avedik Anfang 2020 verabschiedet und in den vorzeitigen Ruhestand abgesetzt.

Die plötzliche Lücke mit grossen Fussstapfen konnte danach offenbar nicht geschlossen werden. Klare Strategien und Entschlossenheit in der Durchsetzung waren nicht mehr erkennbar. Grosse Würfe in der Produktentwicklung sind auch ausgeblieben. Das Unternehmen war vor allem mit sich selbst beschäftigt und machte den Eindruck, dass nur noch das verwaltet wird, was schon vorhanden ist. Das war der Anfang vom Ende.

Mit der Übernahme durch Vencora ist Crealogix nicht weg vom Fenster, kann möglicherweise als Unit des grösseren Konzerns wieder erstarken, aber: das erste FinTech der Schweiz ist damit Geschichte. Und deshalb Legende.