"Ich sehe in Open Banking enormes Potenzial für alle Teilnehmer. Zusätzlicher Ertragskanal im Sinne von Revenue Sharing und Brokerage Fees und Reduktion der Kosten für Banken, zusätzlicher Nutzen für Kunden und Treiber von Innovation und der Zusammenarbeit. Das Thema muss noch mehr Gewicht erhalten und gehört für mich auf der Agenda weiter nach oben. Zudem müssen die Gespräche für eine Standardisierung der Schnittstellen auf einer anderen Ebene stattfinden, damit Alleingänge einzelner Institute nicht die Entwicklung verzögern und die Zusammenarbeit hemmt."
Ein Ökosystem ist ein Beziehungsgefüge zwischen einzelnen Komponenten, das erst durch deren Wechselbeziehungen seine volle Wirkung erreicht. Zum besseren Verständnis möchte ich anhand der Produktion von Honig ein anschauliches Beispiel machen. Für das Endprodukt Bienenhonig ist vorab ein fleissiger Bienenstock, ein verlässlicher Imker, eine geeignete Infrastruktur mit Bienenkisten und Honigwaben, die Ernte und die Abfüllung des Nektars sowie eine gute Vermarktung und der Verkauf erforderlich. Der Endkunde kann demnach erst in den Genuss des fertigen Honigs kommen, wenn alle Teilkomponenten erfolgreich zusammenspielen.
Dieser Prozess funktioniert jedoch nur, wenn die einzelne Teilschritte automatisch miteinander verbunden sind und sich der Kunde nicht darum kümmern muss. Der Blogpost von Richard Hess aus der Blogparade der SBVg zu Open Banking zeigt in einer kurzen Übersicht verständlich auf, wo wir uns in der Schweiz heute diesbezüglich befinden und welchen Weg wir eingeschlagen haben. Einen tieferen Einblick ins Thema Open Banking in der Schweiz bietet die Auslegeordnung der SBVg, die eine Arbeitsgruppe aus Bankenvertreterinnen und -vertretern verfasst hat. Darin zeigen sie unter anderem die internationale Entwicklung bei der Regulierung von Open Banking auf und gehen auf die Rolle der Banken in der Angebotsentwicklung ein.
Ich persönlich begrüsse den Marktbasierten Ansatz ohne explizite Regeln für den Datenaustausch. Jedoch bin ich überzeugt, dass die Gespräche für einen nationalen Standard auf einer anderen Ebene geführt werden müssen und nicht in einzelnen Initiativen. Weiter gehört das Thema Open Banking auf jede Agenda des Managements und in der Priorisierung weiter nach oben. Die Ankündigung einer Strategie in Richtung Ökosystem alleine ist noch keine konkrete Lösung. Wir laufen Gefahr, dass das zögerliche Finden eines einheitlichen Standards dazu führen wird, dass die Kunden noch länger auf ein einfaches Banking warten müssen und wir fremden Marktteilnehmern noch mehr Zeit schenken. Oder ist es ein bewusstes Zögern?
Bewusstsein schaffen und Strategie anpassen
An dieser Stelle mache ich immer wieder gerne auf das fehlende Bewusstsein und die mangelnde Aufklärung zum Thema Open Banking und dessen Potenzial aufmerksam. Ich bin der Meinung, dass die Ausbildung auf dem Finanzplatz Schweiz in Bezug auf neue Technologien und deren Möglichkeiten noch zu stiefmütterlich behandelt wird. Das geht so weit, dass auch der Kunde noch keinen Überblick über seine Möglichkeiten hat und Lösungen ausserhalb des traditionellen Bankings sucht und findet. Das hat zur Folge, dass Banken viel Zeit und Geld in die Entwicklung von neuen und/oder Optimierung von bestehenden Produkten stecken, anstatt mit externen Partnern zusammenzuarbeiten.
Produktmanagement heisst für mich auch die Kooperation mit und Anbindung von Drittanbietern. Die Synergien, welche damit gewonnen werden können, haben enorm positives Potential auf der Ertrags- und Aufwandsseite. Schweizer Banken geniessen einen sehr guten Ruf, werden als sehr sicher angesehen und haben ein etabliertes und breites Vertriebsnetz. Eine exzellente Basis um darauf aufzubauen und z.B. eine Orchestrator- oder Aggregator-Rolle einzunehmen, welche auch in der Auslegeordnung Open Banking der SBVg erwähnt werden. Folglich möchte ich diese Varianten anhand eines von mir erstellten Beispiels veranschaulichen.
Business-Ökosysteme am Beispiel Eigenheim
Nachfolgend gehe ich speziell auf das Business-Ökosystem (BES) ein. Das BES lässt sich überall finden. Das Silicon Valley oder die ganze Start-up Szene mit deren Inkubatoren, Investoren, Beratern etc. werden als Ökosysteme verstanden. Auch hier bilden die einzelnen Disziplinen ein funktionierendes Gesamtsystem, wobei jedes Fachgebiet seine Stärken isoliert anbietet. Dieses Modell lässt sich auch auf das Projekt Eigenheim anwenden.
Neben der reinen Finanzierung durch ein Finanzinstitut können viele weitere Dienstleistungen ein sinnvolles und einheitliches Gesamtkonzept bilden. Dies könnte wie folgt aussehen:
- Eine Familie möchte ein Eigenheim kaufen und macht sich Gedanken zu folgenden Punkten: maximaler Kaufpreis, Haus oder Wohnung, zukünftiger Wohnort, Finanzierung und Absicherung der Familie (Aufzählung nicht abschliessend).
- Ausgehend von den familiären Bedürfnissen kann nun ein integrativer Kauf- oder Bauprozess aufgezeigt werden, welcher als Orientierung dient und die Kunden während der gesamten Projektphase interaktiv begleitet.
- Dies kann in Form eines visuellen Zeitstrahls auf einer speziell dazu errichteten Plattform erfolgen. Letztere beinhaltet sämtliche verfügbaren Dienstleistungen, die darin digital miteinander vernetzt sind.
Im Zusammenhang mit der Suche nach dem passenden Heim bestehen zum heutigen Zeitpunkt bereits einige Suchmaschinen. Bestehende Programme aus dem Finanzbereich haben die digitalen Inserate der Immobilienportale zwar bereits um weitere Suchkriterien, wie zum Beispiel Arbeitsweg, Natur, Umgebung oder Haltestellen, ergänzt. Es empfiehlt sich jedoch, nicht nur externe Verkaufsangebote heranzuziehen und zu erweitern, sondern eigene direkte Wege von Anbietern zu Verkäufern und Käufern zu schaffen. Das BES könnte registrierten Nutzern neben einem eigenen Immobilien Verkaufsportal ein breites Netzwerk weiterer involvierter Instanzen im Bereich von Immobilien bieten. Basierend auf diesem Ökosystem können Daten und Suchaufträge genau erfasst und zwecks konkreter Kundenangebote verwendet werden. Somit erfährt die Bank zum Beispiel im Voraus, dass bald eine grössere Summe fliessen wird – und das nicht nur bei den eigenen Kunden.
Synergiepotentiale nutzen
Nachstehend möchte ich auf mögliche Subsysteme, welche man in das BES einbinden könnte, näher eingehen. Es geht mir darum aufzuzeigen, inwiefern Synergien innerhalb des Ökosystems genutzt werden können.
Gerade in der heutigen Zeit spielt der Preis eine grosse Rolle, da niemand sein Eigenheim überzahlen möchte. Deshalb ist es ein häufiger Wunsch der Kunden, eine Schätzung des Marktwerts einer interessanten Liegenschaft zu erhalten. Zurzeit sind hier hauptsächlich Dienstleistungen mit end-to-end Prozessen, praktischen Anwendungen und schnellen Entscheiden im Vordergrund. Unter ihnen stehen Start-ups, wie Immosparrow oder PriceHubble. Im Bereich der Finanzierung gibt es ebenfalls junge, digitale Anbieter, welche mit Hilfe kluger Software und Datenauswertung eine grosse Unterstützung bieten. Im Bereich der Vermietung von Wohnungen oder Häusern bestehen Plattformen wie homegate, flatfox oder coozzy. Auch für die Verwaltung lassen sich existierende Hauswartungen und Immobilienverwalter in das Ökosystem einbinden. Um die Familie und das neue Eigenheim optimal abzusichern, bieten sich Start-ups wie Knip, resurance oder SafeSide an. Rund um das Thema Umzug könnte MOVU in das System involviert werden.
Vor dem Einzug in ein bestehendes Objekt sind meistens zusätzlich anstehende Renovationen oder sonstige Änderungswünsche fällig. Der Einbezug eines Partners wie Renovero bietet eine weitere interessante Instanz für Kunden innerhalb des Ökosystems. Da der Renovationsbedarf in den nächsten Jahren in der Schweiz wohl weiter steigen wird, werden solche Anbieter immer häufiger gebraucht werden. Genau an dieser Stelle lässt sich der Mehrwert des BES gut erkennen. Das BES verfügt über jeden einzelnen Mitspieler einen eigenen Zugang zum System. Egal, ob der Kunde über eine Finanzierung, einen Verkauf, eine Renovation einen Umzug oder eine Versicherung nachdenkt, das BES integriert jeden einzelnen Bestandteil und führt Kunden automatisch zu weiteren relevanten Dienstleistungen.
Ferner könnten Themen wie «Smart Home» und «Internet of Things (IoT)» eine weitere sinnvolle und innovative Ergänzung rund um das Thema Wohnen werden. Digitale Helfer wie Google Home, Alexa oder Apple HomePod finden immer breitere Anwendung. Das eigene Heim via Kameras über das Smartphone zu überwachen. Lichter, Türen, Fenster oder die Raumtemperatur per «voice commands» zu steuern stellen nur wenige weitere Funktionen dar. Über diese kleinen Helferchen werden sich in Zukunft auch Börsenaufträge, Zahlungen oder sonstige entgeltliche Aufträge erteilen lassen. Solche digitalen finanziellen Abwicklungen oder Vertragsverwaltungen im Hintergrund via Blockchain und «Smart Contract» liessen sich auch auf viele anderen Dienstleistungen im Ökosystem anwenden.
Der Einblick in das «Ökosystem Wohnen» ist nur ein Beispiel von vielen möglichen vernetzten Systemen. Bezüglich eines möglichen Ökosystem im Bereich Anlagen oder Renditeoptimierung denke ich an Alibaba. Die Kunden können dort bereits Lohnkonti eröffnen und Gelder überweisen. Sollten sie nicht genug Geld für einen Einkauf haben, erhalten sie beim Check-out die Möglichkeit, einen Kredit von Kabbage (US credit lending program) oder direkt von Alibaba via Pay Later aufzunehmen. Bleibt am Ende des Monats Geld übrig, legt man es einfach in dem von Alibaba gegründeten Geldmarktfonds an. Hier gäbe es viele weitere Partner, welche zu einem «Ökosystem Anlagen» herangezogen werden könnten, um ein attraktives Gesamtpaket anzubieten.
Branchenübergreifende Business-Ökosysteme
Über die Finanzbranche hinaus kann jedoch auch die Einbindung von Dienstleistern aus anderen Sektoren einen enormen Mehrwert bringen. Die Meldung des Bundesrats vom 17. Oktober 2018 über eine mögliche Liberalisierung des Strommarktes für Private, bringt für ein BES im Finanzbereich ebenfalls einen grossen Vorteil. Heute ist der Schweizer Bürger auf den regionalen Stromlieferanten angewiesen. In Zukunft darf er womöglich selber wählen, von wo er seinen Strom beziehen möchte. Es entsteht ein neuer Markt. Ich stelle mir ein Comparis für Strom vor, wie dies Verifox in Deutschland ist. Ein online Vergleichsportal inklusive durchgehendem Prozess mit Vertragsausstellung und Umschaltung. Sobald der preissensitive Schweizer selber wählen kann, wird er seine Kosten vergleichen wollen. Bietet man einen solchen Zugang innerhalb eines BES an, erhalten die einzelnen Beteiligten Zugang zu unzähligen weiteren Haus- und Wohnungsbesitzern, welche früher oder später ihre Dienstleistungen in Anspruch nehmen werden.
Zusammenfassend ist das Business-Ökosystem eine Vernetzung von sämtlichen relevanten Dienstleistungen in einem bestimmten Marktbereich. Egal über welchen Zugang ein Kunde in das Ökosystem einsteigt, das gesamte Ökosystem profitiert von der Arbeit und dem Angebot der beteiligten Partner. Anhand dieser Synergien hat jeder einzelne Kooperationspartner die Möglichkeit, an zusätzliche Kunden und wertvolle Daten zu gelangen und kann damit massgeschneiderte Angebote zustellen.
Welche Vorteile hat der Kunde?
Kunden erhalten sämtliche Dienstleistungen aus einer Hand respektive aus einem BES und haben gleichzeitig die Sicherheit, einen geprüften Service zu erhalten. Es werden nur professionelle Partner auf der Plattform angeboten, welche strategisch selektioniert und überprüft wurden. Aufgrund von Bewertungen und Kundenfeedbacks lässt sich der Service stets verbessern und erneuern.
Welche Vorteile hat der Anbieter?
Die beteiligten Unternehmen gelangen an zusätzliche Kunden sowie einen Zusatzverdienst aufgrund von Vermittlungsprovisionen. Das BES lebt demnach von der Reputation jedes einzelnen Partners, weshalb alle bemüht sind, ihre Leistungen zur vollsten Zufriedenheit der Kunden auszuführen.
Welche Vorteile hat die Entwicklung einer solchen Plattform für Banken?
Eine Bank, welche ein solches BES anbietet, erhält einerseits Zugang zu potentiellen Neukunden. Mit dem BES hat sie andererseits die Möglichkeit, über das Thema Wohnen hinaus, attraktive Dienstleistungen anzubieten und damit bestehende oder neue Kunden zu binden. Weiter generiert die Bank mit der Vermittlung von Kunden an die involvierten Partner zusätzliche Einnahmequellen. Vor allem auch das Wissen über die Plattformnutzer sowie über deren Absichten stellt für eine Bank ein wertvolles Wissen dar, welches erlaubt, zeitnah über die Pläne von Interessenten informiert zu sein. Somit gelingt es den Banken, beispielsweise über die Kaufabsichten der Familie als erstes zu erfahren, sobald diese Suchaufträge, Versicherungsanfragen oder Schätzungen im Ökosystem starten.
Braucht es die zentrale Plattform überhaupt?
Was wäre eine Alternative für ein Business-Ökosystem? Ich freue mich über eine anregende Diskussion zu diesem Thema.
Dieser Artikel von Fabian Lehner ist als Beitrag zur Blogparade erstmals auf der Website der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) publiziert worden.