League of Legends

Gaming: Postfinance mit E-Sports-Initiative im Gegenwind

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Bild: Postfinance Trailer E-Sports

Postfinance will fünf Gaming-Talente im Strategiespiel "League of Legends" ein Jahr lang coachen und zum Profi-Team formen. Es hagelt harsche Kritik. Berechtigt oder zu kurz gegriffen? Meinungen und ein Kommentar.

League of Legends (LoL) ist ein Computerspiel, das seit 2009 als Online-Spiel im Markt ist und kostenlos gespielt werden kann. Die Community von LoL wächst laufend, League of Legends wird monatlich von weit über 100 Millionen Gamern gespielt.

Nach Statista werden die Nutzerzahlen von Digitalen Games weltweit bis 2022 bei rund 599 Millionen liegen. In der Schweiz bei prognostizierten 600'000 Nutzern. Rechnet man die Szenen-Interessierten dazu, welche E-Sports-Wettkämpfe live besuchen oder in Massen am TV verfolgen, erreichen die Zielgruppen Grössenordnungen, die Marketing-Strategen nicht ignorieren können. 

Aktuell ist in der Diskussion, ob E-Sports Teil und Disziplin der Olympischen Spiele werden soll. Das auch vor dem Hintergrund, dass E-Sports längst zur Breitenbewegung geworden ist mit zahlreichen Wettkämfpen, internationalen Turnieren und Grossereignissen auf der ganzen Welt. Die Preisgelder für Profispieler und Siegerteams sind attraktiv und bewegen sich in Millionenhöhe.

Das experimentelle Projekt der Postfinance

Postfinance baut das erste professionelle E-Sports-Team der Schweiz auf und ermöglicht damit fünf jungen League of Legends-Spielern den Start in eine Karriere als Profi-Gamer. 

Training und Coaching für ein Jahr
Die Spieler wohnen in einem Gaming-Haus mit voll ausgestattetem Trainingsraum und werden von einem international erfahrenen Coach und verschiedenen Beratern in einem professionellen Umfeld betreut. Postfinance kommt für sämtliche Kosten auf, ein Jahr lang, inklusive Monatsgehalt von je 2‘500 Franken pro Gamer. 

Ziele und Dokus
Das Team mit fünf Profi-Gamern soll sich auf allen Turnierbühnen beweisen können und den Sprung an die europäische Spitze schaffen. Das gesamte Experiment wird dokumentiert und soll den Weg der E-Sportler vom Amateur zum Profi zeigen. Dabei sollen nicht nur Coaching und Trainings im Gamen eine Rolle spielen, das Team in der Gaming-WG soll auch über finanzielle Herausforderungen, ein gemeinsames Budget und Diskussionen zur Ausgabenverwaltung zusammenwachsen.

Darf eine Bank auf dem Weg zum Digital Powerhouse ein E-Sports Profi-Team aufbauen?

Je nachdem, wen man fragt, darf man das oder man darf eben nicht. Es ist nicht für alle dasselbe, für die folgenden Exponenten ist es das:

Für die Postfinance eine der Massnahmen, als "digitale Innovationsleaderin in der Schweizer Bankenwelt ihre starke Ausgangslage zu nutzen und sich von einer klassischen Finanzdienstleisterin zu einem Digital Powerhouse zu transformieren –  mit dem Ziel, bis Ende 2020 die führende digitale Bank der Schweiz zu sein".

Für 20 Minuten ein spannendes Experiment, welches die digitale Plattform als Medienpartnerin mit regelmässigen Berichten begleiten will.

Für Blick ein Skandal, "fünf Gamer ein Jahr lang auf Kosten der Posttochter zocken zu lassen, während Hunderte um ihren Job zittern".

Für Christian Capacoel von der Gewerkschaft Syndicom «ein Schlag ins Gesicht» der Angestellten: «Während Hunderte Mitarbeitende um die wirtschaftliche Existenz fürchten, vergnügt sich die Führung mit einem Kriegsspiel!»

Für Blick-Wirtschaftsredaktor Patrik Berger "ein trauriges Game". Berger erwartet als Kunde der Postfinance, «dass die Staatsbank sorgsam mit dem Ersparten umgeht. Ich will nur gut beraten werden – und zwar von ganz normalen, ruhig auch etwas konservativen Bankern. Nicht von irren Nerds, die sich ein Jahr lang virtuell die Köpfe einschlagen.»

Für die Nachrichtenplattform Nau eine Massnahme, welche "Fantasy-Gamer auf Kosten der Arbeiter finanziert".

Für den Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor der Grund für eine Interpellation, die er in der Herbstsession einreichen will. Addor fragt: «Gehören solche Experimente zum Kerngeschäft der Postfinance?»

Es hagelt Kritik von verschiedenen Seiten und die von Blick in den Raum gestellte Summe von 400'000 Franken, die insgesamt für das einjährige Projekt anfallen soll, ist von zahlreichen Medien aufgenommen und kolportiert worden.

Die von Postfinance-Mediensprecher Johannes Möri eingebrachten Argumente, dass für das E-Sports-Team keine zusätzlichen Gelder ausgegeben würden und das Sponsoring-Budget in den letzten Jahren sogar reduziert worden sei, vermochten die Wogen nicht zu glätten.

Ein Kommentar von unserer Seite

Dass Postfinance-Mitarbeiter, welche möglicherweise ihren Job verlieren, für das Vorhaben der Postfinance kein Verständnis aufbringen können, ist absolut verständlich und nachvollziehbar. Persönliche Betroffenheit schafft die direkte emotionale Verbindung zwischen: Hier wird gespart, bei mir, aber dafür haben sie dann Geld. 

Die Lancierung des Projekts im Umfeld des kürzlich angekündigten Abbaus von bis zu 500 Stellen bis Ende 2020, ist vom Zeitpunkt her unglücklich. Projekte dieser Art werden jedoch nicht in kurzer Zeit aus dem Boden gestampft, die Entwicklungsphase dürfte schon länger laufen.

Dem experimentellen Projekt der Postfinance kann man sicher so oder anders gegenüberstehen, eine Spur Sachlichkeit führt jedoch möglicherweis zu einer differenzierteren Betrachung. Oder auch zu anderen Fragen. Die Führung der Postfinance "vergnügt sich nicht mit einem Kriegsspiel" und Kunden werden auch weiterhin nicht "von irren Nerds beraten, die sich ein Jahr lang virtuell die Köpfe einschlagen". Folgt man den teilweise polemischen Argumenten, darf eine Bank nicht in digitale Zukunftsprojekte investieren, wenn sie sich in einer schwierigen Phase befindet.

Ist das so? Oder dann erst recht, weil es nicht nur um die schwierige Gegenwart, sondern sehr viel mehr um die Sicherung der Zukunft geht? Die Verbindung von Gaming im Zusammenhang mit Projekt-Investitionen kann für Aussenstehende auf den ersten Blick zugegebenermassen dann eher problematisch wirken, wenn Information und Hintergrund fehlen oder wenn die Distanz zu jüngeren Zielgruppen und Digitalisierungs-Themen sehr gross ist.

Wirft man einen Blick auf die Grösse der Zielgruppen von aktiven und passiven Gamern (oben kurz skizziert), dann investiert man allerdings weder in hirnlose Zocker noch in irre Nerds. Vielmehr in eine wachsende und riesige technologie-affine Zielgruppe, welche Payments und anderen digitalen Finanz-Services sehr nahe steht. Ist es richtig oder falsch, zu diesem gewaltigen Markt und zu diesen Zielgruppen heute Verbindungen zu installieren, um für die Zukunft Nähe zu schaffen?

Wie definiert sich die Bank oder der Finanzdienstleister der Zukunft? Wenn Zielgruppen sich wandeln, eher schnell, genügt es dann, den Status quo zu pflegen und zu hoffen, das bisher Geschaffene möge veränderungsfrei auch in zehn Jahren noch funktionieren? 

Der Zeitpunkt ist nicht optimal gewählt, aber das Engagement der Postfinance ist mutig und eben ein Baustein in Richtung Digital Powerhouse. Ohne Experimente ist die Zukunft kaum zu schaffen. Und sollte der Blick mit der Schätzung von 400'000 Franken richtig liegen, bleibt das Engagement sogar vergleichsweise kostengünstig. Nicht in Relation zu Mitarbeitern, die um ihren Job fürchten. Sondern als eine von mehreren Projekt-Investitionen, die notwendig sein können, um die Zukunft zu gestalten und zu sichern. 

Bringt Jean-Luc Addor in der Herbstsession seine angekündigte Interpellation ein mit der Frage: «Gehören solche Experimente zum Kerngeschäft der Postfinance?», ist das eine sehr gute Idee. Weil Fragen wie diese mithelfen können, die aktuell noch fehlende und dringend notwendige, breite Diskussion im Parlament über Digitalisierung, Auswirkungen und Notwendigkeiten in Gang zu bringen. Zur Postfinance, zur Finanzbranche generell, aber auch weit darüber hinaus.

Die Digitalisierung wirkt sich auf alle aus, deshalb muss sie von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft gemeinsam diskutiert und gestaltet werden. Das Anpacken der digitalen Zukunft wird auch weiterhin mit Experimenten verbunden sein. Und nicht alle werden den genau richtigen Zeitpunkt abwarten können. Weil heute gedacht, geplant und initialisiert werden muss, was in Zukunft Wirkung entfalten soll.

Der nächste Streich: Plant Swisscom eine eigene E-Sports-Liga?

Nach aktuellen Recherchen der Handelszeitung prüft auch die Swisscom derzeit den Einstieg ins Gaming und denkt über E-Sports-Initiativen nach. Swisscom habe vor kurzem die Marke "Swisscom eSports Hero League" schützen lassen, schreibt die Zeitung. Ein Hinweis darauf, dass Swisscom mit einer eigenen Gaming-Liga kokettiert. Redaktor Michael Helm zitiert in seinem Artikel einen Telecom-Manager: 

Die planen definitiv etwas Grösseres. So etwas spricht sich herum.

Erstaunlich wäre das nicht, die riesige Gamer-Szene gehört zu den technologie-affinen Zielgruppen und stellt Ansprüche, welche die Swisscom problemlos erfüllen kann: schnelle Verbindungen, hohe Übertragungsraten und schnelle Reaktionszeiten.

Steigt auch Swisscom ins Geschäft mit Gamern ein, wären bereits zwei staatsnahe Betriebe im E-Sports-Bereich engagiert und könnten unseren Politikern mit vereinten Kräften erklären, was Gaming mit Digitalisierung sowie im engeren und weiteren Sinne mit den Dienstleistungen eines Telcos und einer Bank zu tun haben kann.

Der Trailer zur E-Sports-Initiative