Kundenzentrierung & Customer Experience

Über die Digitalisierung der Customer Experience in Banken und die Rolle des Faktors Mensch

Carolin Nothof von Quobis

Carolin Nothof über Banken und wie es gelingen kann, Customer Touchpoints zu digitalisieren, ohne an Kundennähe und Beratungsqualität zu verlieren.

Unter den grössten Trends im Banking haben im Laufe des vergangenen Jahres zwei Bewegungen an zusätzlicher Bedeutung gewonnen: die Digitalisierung der Prozesse einerseits und die Kundenzentriertheit andererseits. Beide Themen sind vielschichtig und bisweilen herrscht Uneinigkeit darüber, was damit konkret gemeint ist. Klar ist aber, dass an der Schnittstelle dieser beiden Megatrends eine Frage liegt, die von strategischer Bedeutung für Banken ist: Wie können wir unsere Customer Touchpoints digitalisieren und gleichzeitig mehr Kundennähe beweisen, um die Kundenzufriedenheit zu erhöhen?

Noch vor wenigen Jahren hätte diese Kombination widersprüchlich erschienen: Wie würden sich Kunden mit ihrer Bank verbunden fühlen und ihr vertrauen, wenn die persönlichen durch digitale Touchpoints ersetzt würden? Heute haben Digitalbanken bewiesen, dass auch vollständig digitale Angebote sehr erfolgreich sein können. Trotz diesem Siegeszug brauchen traditionelle Banken ihre Identität nicht vollständig infrage zu stellen. Ganz im Gegenteil: es würde bereits ausreichen, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen und auf die Aspekte, die Kunden an ihrer Bank wertschätzen. Diese Vorzüge können dann mit ausgewählten digitalen Initiativen kombiniert werden.

Erfolgsfaktoren beim Wechsel von der analogen zur digitalen Customer Experience

Das traditionelle Kundenerlebnis einer Bank hätte einfacher nicht sein können: Kunden konnten ihre Bankfiliale für die ganze Palette an Dienstleistungen persönlich aufsuchen, etwa, um einen Kredit aufzunehmen, um die Ersparnisse anzulegen oder um das erste Konto für den Nachwuchs zu eröffnen. Information war damals ein knappes Gut, denn Kunden konnten sich nicht ohne Weiteres eigenständig im Internet informieren. Doch sie kannten die BeraterInnen ihrer Filiale persönlich und wandten sich mit ihren Fragen vertrauensvoll an sie, in der Gewissheit kompetent beraten zu werden.

Dieses idyllische Bild wurde mit voranschreitender Digitalisierung scheinbar zerstört: Filialschliessungen sind an der Tagesordnung und Kunden sind gezwungen, ihre finanziellen Angelegenheiten online zu erledigen. Leider ist die Customer Experience im Online Banking jedoch nicht vergleichbar mit dem traditionellen Kundenerlebnis in der Filiale. Es ist zwar durchaus möglich, Standard-Transaktionen online durchzuführen, aber Kunden können nun nicht mehr so einfach mit ihrer Bank in Verbindung treten, um sich zu komplexeren Fragestellungen persönlich beraten zu lassen. Dadurch wird die Bank immer austauschbarer für die Kunden. Ihre Loyalität nimmt ab und stattdessen gewinnen Challenger-Banken an Attraktivität.

Die grössten Beweggründe, warum immer mehr Kunden Challenger-Banken gegenüber der traditionellen Bank bevorzugen, sind, laut dem World FinTech Report von Capgemini und Efma aus 2020, die geringeren Kosten, einfachere Bedienbarkeit und der schnellere Service. Die relevantesten Aspekte sind hier wohl die beiden letzteren, denn die meisten Kunden etablierter Banken sind nicht allzu preissensitiv – solange sie echte Lösungen für ihre Probleme erhalten, solange sie auf guten Service mit individueller Beratung zählen können und solange die Preisgestaltung transparent ist.

Gleichzeitig können traditionelle Banken Einiges bieten, womit die Newcomer Schwierigkeiten haben: Viele Kunden schätzen die eingangs angesprochene persönliche Bindung zu den Beratern. Sie wissen, dass es für jedes Anliegen einen persönlichen Ansprechpartner gibt – sei es für die Immobilienfinanzierung, einen Privatkredit oder sonstiges. Kunden schätzen es wert, dass sie persönliche Beratung zu konkreten Problemen erhalten können.

Das Ziel muss es also einerseits sein, mit der hohen Benutzerfreundlichkeit und dem schnellen Service der Challenger-Banken mithalten zu können. Gleichzeitig müssen Banken ihre traditionellen Stärken ausnutzen und ihre Mitarbeiter mit den notwendigen Fähigkeiten ausstatten, um persönliche Beratung liefern zu können.

Hier folgen ein paar Gedanken, wie eine digitale Kundeninteraktion idealerweise aussehen könnte, um diesen Kriterien zu genügen.

Eine beispielhafte digitale Customer Journey

Der erste Ort, an dem potenzielle Neukunden sich über die Angebote einer Bank informieren, ist heute nicht mehr in der Filiale, sondern auf der Webseite oder sogar in der mobilen App. Darum sollten diese digitalen Touchpoints das gleiche Gefühl von Professionalität, Herzlichkeit und Sicherheit vermitteln, wie es bisher die Filiale tat. Tatsächlich ist es aber sehr viel komplizierter, über die Webseite oder gar die App mit einem Mitarbeiter ins Gespräch zu kommen, als direkt in der Filiale.

Kunden finden zwar einen “Kontakt”-Bereich auf der Webseite, aber dort werden sie gebeten, ein Formular mit ihrem Namen, Email-Adresse und Telefonnummer auszufüllen, um Stunden oder gar Tage später eine Rückmeldung erhalten. Die einfachere, schnellere und persönlichere Variante wäre etwa, das Anliegen direkt per Chat zu lösen – sei es direkt auf der Webseite oder in der App. Kunden sollten dabei stets wissen, ob sie es mit einem menschlichen Ansprechpartner oder einem Bot zu tun haben, und idealerweise zwischen beiden wählen können. 

Eine weitere Option, die den Kunden heute geboten wird, ist die telefonische Kontaktaufnahme. Hier sieht eine klassische Journey beispielsweise so aus, dass die Telefonnummer der Bank etwa über das Tablet in Erfahrung gebracht wird, um anschliessend zum Hörer greifen und die Nummer zu wählen. Hier können die Kunden einfache Transaktionen durchführen und Informationen erhalten, jedoch keine tiefergehende Beratung erwarten. In diesem Falle wäre der einfache, schnelle und persönliche Ansatz, einen Sprach- oder Videoanruf genau dort zu ermöglichen, wo die Kundschaft sich bereits aufhält: mit einem Klick auf der Webseite oder in der App. Solch ein Vorgang wäre nicht nur intuitiver und zeitsparender, sondern die Bank bekäme auch wieder ein Gesicht.

Sowohl für Finanzinstitute, als auch für die Kunden hätte dieser Ansatz offensichtliche und weniger offenkundige Vorteile. So nimmt die telefonische Beratung natürlich ganz neue Ausmasse an, wenn Agenten sich nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch mit Gestik und Mimik erklären können. Sie stehen den Kunden plötzlich auf einem ganz anderen Level zur Verfügung, wenn sie ihnen per Screen Sharing dabei helfen können, sich auf dem Internetauftritt der Bank zurechtzufinden, oder ihnen im Chat Dateien zusenden können.

Weniger offensichtlich ist, dass Banken durch Anrufe direkt im Web Zugang zu ganz neuen Datensätzen erhalten. So könnten Agenten theoretisch all die Information einsehen, die der Browser des Anrufers freigibt, etwa, welcher Browser verwendet wird, welche Sprache im Browser eingestellt ist, oder von welcher exakten Webseite die Interessenten ihren Anruf starten. All diese Daten könnten dazu beitragen, die potenziellen Kunden besser kennenzulernen.

Tatsächlich ist Videoberatung für viele Banken nichts mehr ganz Neues. Von einer reibungslosen, professionellen und unkomplizierten User Experience kann aber in den wenigsten Fällen gesprochen werden. Bei vielen Finanzinstituten findet man Lösungen, die eigentlich nicht für den Einsatz im Kundengespräch, geschweige denn im Banking, geschaffen wurden und daher eine frustrierende CX erzeugen. Kunden müssen erst einmal eine bestimmte App herunterladen oder Plugins installieren oder sie dürfen nicht das Gerät ihrer Wahl verwenden. Bei geplanten Terminen ist es nicht ungewöhnlich, dem Videoportal ein paar Minuten früher beizutreten. Während die Kunden vor Ort in einem gemütlichen Warteraum mit einem Kaffee versorgt werden, finden sie sich im digitalen Warteraum lediglich in der virtuellen Lobby eines Standard-Videokonferenz-Anbieters wieder. Dies schafft null Wiedererkennungswert mit der Bank und ist eher Zeichen einer schnellen Notlösung als einer gut durchdachten und professionell gestalteten Customer Journey.

Die Rolle disruptiver Technologien

Wenn es um die digitale Transformation geht, dann wird meist im gleichen Atemzug von neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz, Augmented Reality und Predictive Analytics gesprochen. Sicherlich hat jede dieser Technologien ihre Daseinsberechtigung in bestimmten Anwendungsgebieten. Bankkunden interessieren sich jedoch herzlich wenig dafür. So zeigte eine Studie aus 2018, dass jene Unternehmen mit den erfolgreichsten Customer Experience-Initiativen "Old-School"-Methoden priorisieren, wie etwa das direkte Gespräch mit ihren Kunden durch talentierte Mitarbeiter. Die im CX erfolgreichen Unternehmen verlassen sich viel weniger auf Hypes wie etwa Chatbots, Predictive Analytics, oder Augmented Reality.

Auch wenn diese Studie nicht explizit mit Banken, sondern branchenweit durchgeführt wurde, so überschneiden die Ergebnisse sich doch mit den oben genannten Erfolgsfaktoren, nämlich der Einfachheit und der Schnelligkeit im Service. Die beiden grössten Frustrationsquellen in der Kundeninteraktion sind, laut Studie, das lange Warten auf eine Antwort und die Kommunikation mit Mitarbeitern, die das Kundenbedürfnis nicht verstehen.

Daher ist die chancenreichste Strategie, die Customer Experience von Banken zu digitalisieren, wider aller Erwartung, eine sehr menschliche Strategie: Es gilt, Kunden nicht warten zu lassen und stattdessen eine direkte und unkomplizierte Möglichkeit der Kontaktaufnahme zu bieten. Um sicherzustellen, dass das Kundenbedürfnis korrekt verstanden wird, braucht es sowohl kompetente Mitarbeiter, als auch die visuelle Kommunikation, genau wie beim persönlichen Kontakt in der Filiale. So wird der Customer Touchpoint digitalisiert, und danken werden es all jene, die fortan nicht nur Standardprozesse, sondern auch komplexe finanzielle Anliegen orts- und zeitunabhängig klären können ohne auf die fachliche Betreuung ihres Beraters verzichten zu müssen.

Die Autorin: Carolin Nothof

Carolin Nothof arbeitet bei dem spanischen Technologie-Unternehmen Quobis an Digitalisierungsprojekten in Finanzinstituten. Im Vordergrund steht dabei für die Banken stets die Vereinfachung des Kundenkontaktes und der internen Kommunikation, ohne an Sicherheit einbüssen zu müssen.

Nachdem Carolin ihren beruflichen Werdegang in der angewandten Forschung und im Software-Umfeld gestartet hat, absolvierte sie einen M.Sc. in Wirtschaftsinformatik, um ein fundiertes Verständnis dafür zu gewinnen, wie Digitalisierungsprojekte in der komplexen IT-Landschaft grosser Unternehmen gelingen können.

Carolin hat in den vergangenen Jahren in vier europäischen Ländern gelebt und gearbeitet. Sie schätzt es, durch mobiles und ortsunabhängiges Arbeiten von überall für ihre Kunden und Kollegen da sein zu können. Ihr Ziel ist es, die Möglichkeiten für diese Flexibilität auch in andere Unternehmen zu tragen.