Challenger-Banken

Verliert die Smartphone-Bank N26 jeden Tag dreitausend Kunden?

Junge Leute mit Smartphones
Bild: DisobeyArt | Getty Images

Kommen jeden Tag zehntausend Neukunden dazu, bleiben netto siebentausend Kunden im Topf. Eine starke Zahl – und ein weicher Wert, er sagt nichts über die Nutzung aus.

Das Unicorn N26 hat letzte Woche die geknackte Marke von fünf Millionen Kunden gemeldet.

Eine starke Leistung, zumal die weltweite Kundenzahl nach Angaben von N26-CEO Valentin Stalf im Jahr 2019 mehr als verdoppelt werden konnte. Dieser Neukunden-Zuwachs soll in Zahlen mehr Gewicht auf die Waage gebracht haben, als alle Zugänge der vorangegangen Jahren zusammengenommen. 

Wie praktische alle Challenger-Banker verzichtet auch N26 darauf, die Begriffe "Neukunden" und "Kunden" genauer zu definieren. Ein Nettozuwachs von 7'000 Kunden pro Tag ist eine starke Ziffer, dennoch bleibt die Frage interessant, das gilt für alle Challenger-Banken, ob die Zahl der kommunizierten Kunden in harter oder weicher Währung ausgewiesen wird.

Harte oder weiche Währung – das Nutzungsverhalten macht den Unterschied

Wann ist ein ausgewiesener Neukunde ein tatsächlicher Kunde und gehört damit für Challenger-Banken zur harten Währung? 

A) Ein Interessent lädt die App auf sein Smartphone
Ein blosser Download allein produziert weder Kunden noch Nutzer. Immerhin kann das Resultat im schechtesten Fall darin liegen, dass ein Interessent lediglich eine inaktive App mehr auf seinem Smartphone hat.

B) Ein Neukunde durchläuft den KYC-Prozess und eröffnet ein Konto
Dadurch wird der Interessent zum Kontoinhaber, aber noch nicht unbedingt zu einem aktiven Kunden. Vielleicht bleibt es beim Status des registrierten Kontoinhabers ohne jede Bewegung auf dem Konto.

C) Ein Neukunde absolviert den Sprint von A und B ohne Abbruch und nutzt sein neues Konto
Erst dadurch wird ein Neuzugang zu einem "richtigen" Kunden. Die wichtigste Frage bleibt allerdings auch hier noch offen: Wie aktiv nutzt der Kunde sein neues Konto?

Für N26, für jede Challenger-Bank, für die Interpretation der ausgewiesenen Neukunden und damit auch für die Statistik macht es einen gewaltigen Unterschied, ob ein Kunde nur gerade einmal pro Jahr eine Transaktion durchführt, nur einen Urlaub lang die Karte einsetzt oder ob Konto und Leistungen im Alltag und dadurch mehrmals pro Woche genutzt werden.

Zudem: Welche Funktionen nutzt ein Kunde, hält er das neue Konto als Haupt- oder als Zweitkonto, welches Volumen wird bewegt, nutzt ein Kunde "nur" das kostenlose Standard-Konto oder leistet er sich ein kostenpflichtes Premium-Angebot mit erweiterten Leistungen?

Neo-Banken kennen selbstverständlich ihre Kunden und deren Nutzungsverhalten, sie geben sich allerdings in der Kommunikation gegen aussen sehr zurückhaltend. Diese Wissenslücken erschweren die Interpretation, wie ein explosives Wachstum der Kundenzahlen auf der Skala zwischen Interesse, gelegentlicher Nutzung und hoher Nutzung einzuordnen ist.

Die Zuwanderung und Abwanderung von Kunden bei Challenger-Banken

Diese nicht geklärte Definition sowie die Differenz zwischen neu gewonnenen Kunden und abgewanderten "Kunden" führt regelmässig zu Diskussionen, mit welcher Kunden-Währung Neo-Banken operieren, wenn sie jeweils ihre neuen Kundenzahlen präsentieren.

Im aktuellen Fall von N26 hat Heinz-Roger Dohms von der Finanz-Szene.de letzte Woche eine Rechnung aufgemacht und ist zum Schluss gekommen, dass N26 wohl um die 7'000 Kunden netto pro Tag gewinnt, sofern die Angaben von N26 stimmen, gleichzeitig jedoch jeden Tag 3'000 Kunden verliert.

Basis ist die Zahl von täglich 10'000 neuen Kunden, die N26-CEO Valentin Stalf jeweils kommuniziert. Dohms rechnet vor: "Vor gut einem Jahr, nämlich am 10. Januar 2019, war von "mehr als 2,3 Mio. Kunden" die Rede. Damit hat N26 in 378 Tagen ziemlich genau 2,7 Mio. Kunden gewonnen – was gut 7'100 pro Tag entspricht."

Werden die von Stalf genannten 10'000 Neuzugänge als Bruttowert betrachtet, würden sich folglich knapp 3'000 Kunden pro Tag von N26 wieder verabschieden.

Jakob Steinschaden vom Branchenportal Trending Topics hat sich auf Spurensuche gemacht, um Dohms Rechnung in die eine oder andere Richtung zu verifizieren. Er verweist darauf, dass N26 nicht in Abrede stellen würde, dass ein Anteil von Nutzern die Neo-Bank auch wieder verlässt und zitiert einen Sprecher des Unternehmens:

„Durch unseren gestiegenen Bekanntheitsgrad gewinnen wir immer mehr Menschen in unseren 26 Märkten, die die Produkte von N26 ausprobieren möchten. Einige von ihnen eröffnen beispielsweise ein kostenloses Girokonto bei uns, nutzen es dann, um während ihrer Urlaubsreise Fremdwährungsgebühren zu sparen, und schliessen es später wieder. Und das ist für uns völlig in Ordnung. Wir haben die Kundenanzahl im vergangenen Jahr verdoppelt, und dazu gehören kurzfristigere Nutzer ebenso wie sehr aktive, langfristige Kunden.“

Eine glasklare Definition von "Kunden" und "Nutzern" gibt's weiterhin nicht, N26 stellt aber immerhin klar, dass bei den fünf Millionen kommunizierten Kunden, ehemalige, das heisst fahnenflüchtige, N26-Kunden nicht enthalten wären. Zudem wären in den aktuell ausgewiesenen Zahlen nur Kunden mit eingerechnet, welche tatsächlich ein Konto eröffnet hätten, blosse Downloads der App würden in der Statistik keine Rolle spielen.

Die aktuell kommunizierte Definition von Kunden bei N26

Diese Recherchen von Trending Topics stützen die Berechnungen von Finanz-Szene.de, die bei 10'000 Neukunden und knapp 3'000 Abwanderungen (Kontoschliessung) pro Tag auf ein Netto von 7'100 Kunden kommt.

Aus Gründen der fortlaufenden Geschichtsschreibung zu Challenger-Banken hier nochmals die Definition von Kunden nach Lesart von N26 im Januar 2020:

N26 erfasst nur jene Kunden in ihrer Statistik, welche ein Konto eröffnet haben und damit den KYC-Prozess durchlaufen haben. Interessierte, welche nur gerade die App auf ihr Smartphone laden, spielen in der Statistik keine Rolle. Ebenfalls nicht relevant bei der Nennung der Kundenzahlen ist die effektive Nutzung oder die Nutzungshäufigkeit des Kontos – ausgewiesen als Kunden werden deshalb nicht ausschliesslich aktive Nutzer, sondern Inhaber eines Kontos mit einem Nutzungsverhalten zwischen gar nicht und sehr aktiv.

Weiter geht N26 im Moment nicht. Das heisst konkret, ob überhaupt, wie oft, ob auf Dauer oder nur gerade einen Urlaub lang das Konto von N26 tatsächlich genutzt wird, spielt in der Statistik von N26 gegen aussen keine Rolle. Die wirklich harten Werte gehören demnach weiterhin zu den gehüteten Geheimnissen des Unternehmens.

Aktive Kunden und Rentabilität

Bereits zwei Wochen vor Verkündung der neuen Kundenzahlen von N26 hat der Finanzjournalist Heinz-Roger Dohms eine interessante Rechnung aufgemacht. Aufgrund der Bemerkung von N26-CEO Valentin Stalf, man "sei auf Kundenbasis bereits profitabel" hat er nachgerechet und über sechs Thesen und lesenswerte Schlussfolgerungen eine finale Bilanz zu N26 gezogen: "Nur 1,5 Millionen aktive Kunden, aber 2019 bereits 100 Millionen Euro Ertrag, vielleicht sogar mehr".

Stimmen die Berechnungen, bestätigen sie den Kurs von N26 – in der Kommunikation und im Geschäft: Mehr als 5 Millionen Kunden sind ein herausragender Wert, um gegen aussen Erfolg und explosives Wachstum zu dokumentieren. 1,5 Millionen aktive Kunden bilden die Basis, um Umsätze zu generieren und Geld zu verdienen, "auf Kundenbasis bereits profitabel".