Bitcoin und ICOs: Geniale Systeme oder toxische Instrumente?

Teststrecke für Bitcoin und ICOs
Bild: Kryptowährungen und ICO's auf der Teststrecke | Paul Vinten | Getty Images

Je nach Gesprächspartner zum Thema winkt der Himmel oder es droht die Hölle. Nur: Allein mit Euphorie oder Verdammung ist den Phänomenen nicht beizukommen.


Kryptowährungen und Bitcoin

Aktuell sind warnende Hiobsbotschaften an der Tagesordnung. Begeisterte Appelle ebenfalls. Genau so wie Blasenplatz-Prognosen, Düsterszenarien oder dann wieder euphorisierte Kursfantasien. Zu Kryptowährungen im Allgemeinen und zum Bitcoin im Besonderen. Letzterer erhält aktuell Kursprognosen zwischen 0 und 5'000 Dollar bis Ende Jahr oder 0 bis 50'000 Dollar bis in ein paar Jahren. Wie gesagt, je nach Gesprächspartner und seiner Position und Konstitution, gibt's unterschiedliche Aussagen in der vollen Bandbreite.

Wer hat recht? Keiner. Weil seriöse Prognosen schlicht nicht möglich sind. Nur verbalisierte Hoffnung oder in starke Worte gepackte Abneigung. Dazu kommt, dass auch Massnahmen und Aktionen von Ländern und Staaten widersprüchlicher nicht sein könnten.

Japan gibt Rückenwind und erklärt Bitcoin zum offiziellen Zahlungsmittel. China agiert ganz anders, schliesst Handelsplätze und Plattformen. Die BIZ (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) hat im September 2017 ausführlich und laut darüber nachgedacht, ob eigene Kryptowährungen für Zentralbanken eine gute Idee sein könnten. Russland warnt eindringlich vor den Gefahren, Südkorea ebenfalls, während Estland Konzepte entwickelt, um eine neue Währung zu schaffen, den Estcoin, finanziert über ein ICO (Initial Coin Offering).

Das will sagen: Wer aktuell die Welt der Kryptowährungen (noch) nicht klar einordnen kann, ist in guter Gesellschaft. Abgesehen von Wahrsagern und Hellsehern schafft das keiner.

Initial Coin Offerings (ICOs)

Die einen erkennen riesiges Potenzial in den digitalen Crowdfunding-Plattformen, andere sehen ICOs nur als Betrugsvehikel und als Geldbeschaffungsmaschine für lichtscheues Gesindel. Auch hier läuft das volle Programm: Die einen fördern, die anderen verbieten, lusche Gestalten machen Geld, seriöse Anbieter und Unternehmen finanzieren Firmen und Projekte.

Das will sagen: ICOs bewegen sich noch im weitgehend unregulierten Expermentalstadium, da ist zwischen schlichtem Betrug und höchster Seriosität praktisch alles möglich und Vorsicht ist geboten.

Hype oder Wahnsinn?

Hype ganz sicher im Moment, mit Übertreibungen in alle möglichen Richtungen. Genährt auch durch "Experten" aller Couleur, die oftmals ohne allzu viel Sachlichkeit und ohne fundierte Fakten mehr ihren eigenen und persönlichen Ängsten, Hoffnungen, Aversionen oder Vorlieben Ausdruck verleihen. Allerdings wird nicht nur übertrieben, es wird auch seriös entwickelt, getestet, im Markt erprobt und sachliche Experten-Berichte gibt's auch. Kryptowährungen, ICOs und Instrumente drumherum sind junge Phänomene, die im Moment im Experimentalstadium auf der Teststrecke laufen.

Wahnsinn eher nicht. Und wenn doch, dann der ganz normale Wahnsinn, den neue Phänomene auf der Teststrecke mit sich bringen. In Form von partiellen Übertreibungen und Auswüchsen, welche in dieser Phase nicht vermeidbar sind.

Wie lang darf eine Teststrecke sein?

So lang wie nötig, um im Langzeittest in der Praxis zu erproben und zu klären, ob Kryptowährungen und ICOs geniale Systeme oder Instrumente sein können, welche die Finanzwelt nachhaltig verändern sowie neue Vielfalt und Nutzen bringen. Oder ob es toxische Systeme sind, welche Finanzsysteme und Stabilität unterwandern, massiv gefährden oder generell mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften können. Ab diesem Punkt werden naive Euphorie wie auch erbitterte Aversionstiraden durch Tatsachen ersetzt. Untaugliche Blindflugprognosen werden unnötig und machen gesicherten Erkenntnissen und Erfahrungswerten Platz.

Wie breit darf eine Teststrecke sein?

So breit, dass genügend Spielraum besteht, um Systeme, Instrumente und Anwendungen im Markt zu testen. Das produziert auch Verlierer, aber keine Opfer. Weil Spekulanten und Investoren Risiken und Volatilität kennen. Und gerade deshalb Chancen wittern, ihren Einsatz mit Multplikator x zu mehren. Kann klappen, kann jedoch auch gewaltig ins Auge gehen. Wer die Risiken kennt, und die sind aktuell beträchtlich, der ist kein Opfer, vielmehr Mitspieler und damit Gewinner oder Verlierer.

Allerdings darf eine Teststrecke nur so breit angelegt werden, dass mehrere platzende Bläschen oder eine veritable Blase beim Platzen wohl einen Knalleffekt und einige Schmerzen erzeugen, jedoch niemals Finanzsysteme oder Weltwirtschaft erschüttern und schon gar nicht gefährden dürfen. Dieses Gefahrenpotenzial bringen jedoch im Moment weder Kryptowährungen noch ICOs auf die Waage. Von rund 800 Kryptowährungen haben vielleicht zehn das Stadium der Schmalbrüstigkeit verlassen, sind teilweise hoch kapitalisiert, dennoch haben sie nicht die Kraft, die Welt nachhaltig zu erschüttern.

Wer definiert Teststrecken und Spielregeln?

Je nach Land bewegen sich Regulatorien, sofern sie überhaupt bestehen, auf eher tiefem Level. Kryptowährungen und ICOs sind schwach bis gar nicht reguliert und unterliegen nur teilweise bereits bestehenden Gesetzen. Das hängt damit zusammen, dass die Phänomene Vorsprung haben, sie sind schneller entstanden und weiterentwickelt worden, als Regulatoren beobachten, einordnen und regulieren könnten. Deshalb hatten zahlreiche Staaten und Regulatoren bisher eine eher abwartende Haltung. Das sich das nun teilweise ändert, ist ein Beweis dafür, dass Kryptowährungen und ICOs im Begriff sind, die Sandbox allmählich zu verlassen.

Der Bundesrat will klare Regeln schaffen

Vor drei Jahren aufgrund der "marginalen wirtschaftlichen Bedeutung" noch anders betrachtet, sieht der Bundesrat heute Handlungsbedarf und will für virtuelle Währungen klare gesetzliche Regeln schaffen. Aktuell lässt der Bundesrat Entwürfe schmieden und verkündet, dass das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) zusammen mit dem Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) und der Finanzmarktaufsicht (FINMA) an einer gesetzlichen Lösung arbeiten würden.

Die neue Regulierung soll nicht nur Kryptowährungen umfassen, vielmehr sollen auch klare und möglichst einfache regulatorische Vorgaben für ICOs geschaffen werden. Mit diesen gesetzlichen Regeln sollen im einen wie im anderen Bereich Missbrauchsrisiken begrenzt werden.

Das sind gute Nachrichten und damit werden auch notwendige Signale gesetzt. Weil Kryptowährungen als Phänomen und ICOs als Instrument wichtige Entwicklungen sind, die möglicherweise weit in die Zukunft reichen und sehr viel bewegen können. Deshalb gehören in diesen Bereichen Wildwest-Fraktionen, Manipulatoren und Betrüger schlicht ausgesperrt. Sie schaden der Idee, bringen Instrumente und auch seriöse Macher in Verruf und gefährden die weitere Entwicklung. Deshalb eine sehr gute Entscheidung, dass der Bundesrat sich dafür entschieden hat, mit klaren Regeln Rechtssicherheit zu schaffen und so weit wie möglich die Spreu vom Weizen zu trennen.

Stichworte zum Thema im Lexikon: Bitcoin | Blockchain | Initial Coin Offering (ICO)