Digitalisierung ist Chefsache

« Der Umbruch der Finanzwelt ist noch nicht da, doch er zeichnet sich ab »

Oliver Kutsch, Head of Banking, Swisscom & Roger Wüthrich-Hasenböhler, Chief Digital Officer, Swisscom

Roger Wüthrich-Hasenböhler und Oliver Kutsch von Swisscom zur Digitalisierung, zur Finanzindustrie und zur Position der Schweiz.

Interview: Marc Landis | Redaktion: Kevin Fischer

Die Schweiz kann bei der Digitalisierung nicht an der Weltspitze mithalten. Das gilt auch für die Finanzindustrie. Dennoch sind der Chief Digital Officer und der Head of Banking Swisscoms zuversichtlich, dass die Banken ihren Platz behaupten können. Roger Wüthrich-Hasenböhler und Oliver Kutsch im Gespräch.

Wo steht die Finanzindustrie in der Schweiz in Sachen Digitalisierung?

Oliver Kutsch: Meiner Einschätzung nach liegt die Schweiz bezüglich Digitalisierung zurück. Das liegt daran, dass die Schweiz in gewisser Weise ein geschützter Markt ist. Faktoren wie eine geringere Marktgrösse, die Vielsprachigkeit oder die spezifische Regulierung der Schweizer Banken schwächen die Wettbewerbsintensität im internationalen Vergleich ab. Deshalb besteht Aufholbedarf, wenn es darum geht, die Digitalisierung mit neuen Geschäftsmodellen anzugehen. Bisher gibt es vor allem bei den Frontsystemen und beim Digital Onboarding punktuelle Verbesserungen.

Wer ist denn diesbezüglich im internationalen Vergleich an der Spitze?

Kutsch: In Europa liegen die Skandinavier vorne, weil die Bevölkerung sehr affin ist, wenn es darum geht, digitale Themen anzunehmen. Ansonsten sind die USA in digitalen Businessmodellen weit voraus. Und in China sehen wir rund um Alibaba und Tencent radikale Finanzdienstleistungs-Innovationen. Die Schweiz steht höchstens im Mittelfeld.

Roger Wüthrich-Hasenböhler: Der Grund dafür ist, dass wir in der Schweiz noch ziemlich traditionell unterwegs und sehr mit Regulationsfragen beschäftigt sind. Bei neuen Ideen und Businessmodellen sind wir naturgemäss zurückhaltend.

Welches sind die dringendsten Hausaufgaben für die Banken, damit sie zukunftsfähig bleiben bzw. werden?

Kutsch: Für Banken ist es wichtig, dass sie eine Vision bezüglich ihrer zukünftigen Rolle haben. Ich merke immer wieder, dass sie nicht wissen und sich auch oft nicht vorstellen können, was ihre Rolle und das daraus abgeleitete Geschäft in zehn Jahren sein wird. Das ist ein wesentlicher Knackpunkt. Viele Banken würden heute die Rolle eines Dominators in einem Ökosystem anstreben. Nur gibt es die Rolle des Dominators in jedem Netzwerk und Ökosystem höchstens einmal. Somit können nicht alle Banken diese Rolle einnehmen. Es braucht stattdessen viel mehr Nischenplayer. Banken sollten sich deshalb bewusst sein, welche Nische sie besetzen wollen. Wegen neuer Marktteilnehmer wie Revolut werden Banken in bestimmten Geschäftsfeldern an Bedeutung verlieren – etwa im Zahlungsverkehr. Aber sie werden auch in anderen Geschäftsfeldern ihre Relevanz behalten. Diese Positionen müssen dann gut ergründet werden.

Wüthrich: Dem kann ich nur zustimmen. Momentan ist einfach der Leidensdruck für die Bankenindustrie noch nicht gross genug, um aktiver zu werden. Der Umbruch der Finanzwelt ist noch nicht da, er zeichnet sich aber am Horizont ab. Monatlich werden neue Fintech-Start-ups gegründet, welche einen Teil der Wertschöpfungskette der Banken adressieren. Am Horizont tauchen die ersten Disruptoren auf, wie Revolut und andere, die rasant global und auch in der Schweiz skalieren. Heute sind die Kunden der Banken noch zufrieden, stören sich aber immer mehr an den Gebühren. Es wird künftig immer schwieriger werden, die Kundenschnittstelle zu verteidigen. Institute müssen sich fragen, welche Rolle sie zukünftig einnehmen wollen, wie sich die Kundenschnittstelle verändern wird und welche Technologien sie dafür brauchen, damit sie sich in der digitalisierten Welt behaupten können. Momentan ist noch schwierig abzuschätzen, welche Technologien und Modelle sich durchsetzen werden. Sicher werden Distributed-Legder-Technologien bzw. Blockchain eine wichtige Rolle spielen. Vielfach geht man in der Branche davon aus, dass neue Markteilnehmer noch aufgekauft werden können, sollten sie mit ihren Technologien und Businessmodellen erfolgreich werden. Doch es wird mehrere Kaufinteressenten geben, und man muss damit rechnen, dass man den Bieterkampf verliert oder einen sehr hohen Preis zahlen muss. Deshalb ist wichtig, dass sich Banken schon heute fragen, welche Rolle  sie in fünf bis zehn Jahren einnehmen  wollen und wie die Umstände dann aussehen könnten. Dann werden sie auch in Zukunft erfolgreich sein.

«Momentan ist einfach der Leidensdruck für die Bankenindustrie noch nicht gross genug, um aktiver zu werden.»

Roger Wüthrich-Hasenböhler, Chief Digital Officer, Swisscom

Welche Zukunftsszenarien sehen Sie für die verschiedenen Geschäftsmodelle der Banken?

Kutsch: Im Privatbankenumfeld sieht man schon heute, wie sich die einzelnen Player auf Nischen spezialisieren. Eine ähnliche Entwicklung ist bei den Retailbanken absehbar. Heute versteht sich eine Retailbank als Bank mit einem breiten Portfolio an Dienstleistungen für lokale Kunden. Die Breite des Portfolios wird aber abnehmen. Fintechs werden einzelne Services aus der bisherigen Retailbank-Wertschöpfungskette herauslösen und bestimmte Dienste besser, effizienter, kostengünstiger erbringen als die klassische Retailbank. Es werden sich Ökosysteme bilden, in denen Orchestratoren Services unterschiedlicher Anbieter zusammenfassen und den Kunden zur Verfügung stellen, um deren Anforderungen umfassend abzudecken.

Wie passt das neue digitale Asset-Ökosystem, das Swisscom mit Partnern lanciert hat, zu Ihrer Digitalisierungsstrategie?

Wüthrich: Das passt sehr gut, weil wir gemeinsam mit anderen Unternehmen eine offene Blockchain-Plattform mit Schweizer Komponenten bauen. Auch hier kommt wieder der Ökosystem-Gedanke zum Tragen. Wir sehen uns in der Rolle  als vertrauenswürdiger Infrastrukturprovider, Berater und Anbieter von Lösungen im Bereich Financial und Trust Services. Wir führen in diesem Zusammenhang mit vielen  Banken, Fintechs und anderen interessierten Kreisen Gespräche. Viele Partner signalisieren uns, dass  eine private Schweizer Blockchain-Infrastruktur, die von vertrauenswürdigen Unternehmen wie Swisscom, der Post und anderen ähnlich gelagerten Unternehmungen eine hervorragende Grundlage ist, um Blockchain-basierte Geschäfte aufzubauen. Dieses Vertrauen in so eine «Swiss Blockchain» ist ein wichtiges Fundament, um den Vorsprung der Schweiz in der Crypto-Finance-Welt zu behaupten.

Mit dem neuen Asset-Ökosystem bringen wir digitalisierte Vermögenswerte auf unsere Blockchain. Dazu braucht es einen Tokeniser, der die Vermögenswerte digitalisiert. Diese Rolle übernimmt Daura. Es braucht eine Bank als Schnittstelle zwischen Fiat- und Kryptowelt, das ist Sygnum. Es braucht einen Verwahrer für digitale Assets, den haben wir mit Custodigit, und es braucht ein umfassendes Compliance- und Regulatory-Framework. Dieses stellt MME sicher. Nicht zuletzt braucht es auch einen Marktplatz, wo die digitalisierten Assets gehandelt werden können.

Welche Bedeutung haben DLTs und Kryptowährungen heute und in Zukunft für die Finanzindustrie?

Wüthrich: Ich glaube, sie haben ein grosses Potenzial für die Zukunft. Heutzutage sind wir noch sehr zentralistisch unterwegs. Datenbanken werden zentral geführt, und die Prüfung und Freigabe von Transaktionen braucht Zeit. Mit der Entwicklung der DLT sehen wir einen möglichen Effizienzsprung und eine neue Basis dafür, wie man Banking betreibt. Ich verwende das Wort «Revolution» zwar nicht gerne, aber in diesem Fall handelt es sich tatsächlich um eine technologische Revolution. Und ab 2021 werden im Obligationenrecht auch nicht mehr nur physische, sondern auch digitale Werte geregelt. Das wird der Startschuss für den Einsatz der DLT-Technologie sein. Zunächst ist es aber wichtig, dass die entsprechende Gesetzgebung richtig konzipiert und umgesetzt wird, damit sich darauf basierend der Finanzplatz der Zukunft entwickeln kann.

Wie sehen Sie die Zukunft des Schweizer Finanzplatzes? Welche Veränderungen erwarten Sie?

Kutsch: Die Banken werden konsolidieren und folglich wird es weniger Banken geben. Im Private Banking noch stärker als im Retailbanking. Dieser Prozess läuft bereits. Die Privatbanken, die heute keine Nischenplayer sind und auch in ihrem Kerngeschäft nicht herausragen, werden zunehmend verschwinden. Die Nischenplayer hingegen werden gut überleben können. Der Retailbankbereich wird auch konsolidieren, doch etwas langsamer, weil es kaum Käufer gibt. Zudem geht es ihnen noch zu gut. Aber obwohl die Anzahl Banken abnehmen wird, wird Banking in der Schweiz seine Bedeutung behalten.

Wüthrich : Meiner Meinung nach werden wir in der Schweiz auch in fünf oder zehn Jahren noch ein bedeutender Finanzplatz sein. Ob wir uns auch längerfristig durchsetzen, hängt davon ab, ob wir unseren Vorsprung im Bereich Crypto Finance nutzen können, um in diesem Zukunftsgeschäft eine massgebliche Rolle zu spielen. Dazu gehören, ausser einer angemessenen Regulierung, liberale Rahmenbedingungen für Fintech-Start-ups und wie neue Businessmodelle auf der Basis neuer Technologien umgesetzt werden können. Die Schweiz hat heute eine sehr gute Ausgangslage und sich einen Vorteil erarbeitet. Es geht darum, dass wir nun den Weg konsequent weitergehen und uns nicht überholen lassen.


Digital Mindset

Auf einer Skala von 0 bis 10:

Wie digital fit sind Sie?

  • Kutsch 8 / Wüthrich 8

Wie digital fit ist Ihr Unternehmen?

  • Kutsch 10 / Wüthrich 8

Wie sehr werden neue Technologien (wie Blockchain, AI, Machine Learning, AR / VR) die Branche verändern?

  • Kutsch 10 / Wüthrich 10

Wie sehr möchten Sie als Opinion Leader in diese neuen Technologien für die Zukunft investieren?

  • Kutsch 6 / Wüthrich 8

Vision 2050

Wie sieht das Banking im Jahre 2050 aus?  Warum spielt Ihre Firma dann noch eine Rolle?

Wüthrich: Wer Infrastrukturen anbieten kann, kann Businessmodelle und Wertschöpfungsketten aufbauen. Wir besitzen ein Netz und Kompetenzen in der Cloud und der Blockchain-Technologie. Deshalb werden wir auch noch 2050 eine Daseinsberechtigung haben.

Warum ist Ihr Unternehmen spannend für die Generationen Y und Z?

Kutsch: Aus unserer Erfahrung ist Mitarbeitenden wichtig, ihre Arbeitskraft und -zeit in sinnstiftende Tätigkeiten zu investieren, Verantwortung zu übernehmen und Gestaltungsfreiraum zu haben. Dazu kommt, dass Mitarbeitende ihre privaten Interessen mit den beruflichen Anforderungen verbinden wollen; deshalb gibt es bei uns flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, Standort-unabhängig, zum Beispiel im Home Office, zu arbeiten. Es ist das Gesamtpaket, das für Mitarbeitende entscheidend ist und überzeugen muss. Wir sind überzeugt, dass wir bei Swisscom in einem sehr dynamischen Markt, mit den unterschiedlichsten Jobprofilen und spannenden Entwicklungsmöglichkeiten genau diesen Anforderungen gerecht werden.