Libra Association

Projekt Libra: Weltwährung der Zukunft, wegregulierte Idee oder Inspiration für wegweisende Projekte?

Mann mit Smarphone der Libra-Transaktionen ausführt
Bild: Arinyapinngam | Getty Images

Wegweisende Idee mit dem Potenzial zur neuen Weltwährung oder Attacke, Bedrohung und Gift für die traditionellen Finanzsysteme? So oder so ein Griff nach den Sternen.

Wie man der Libra-Association und ihrem Projekt auch gegenüberstehen mag, kalt lässt die mögliche Dimension der Libra-Idee (fast) keinen. Gehen die einen aus dem Lager der Regulatoren erbittert auf Widerstand, agieren andere mit Interesse und sachlicher Gelassenheit beim Versuch, regulatorische Leitplanken zu finden.

Besonders interessant sind jene, die angestachelt durch die Vision einer "neuen Weltwährung", sich nicht auf Widerstand beschränken, sondern vielmehr selbst aktiv und kreativ werden, um der Idee Libra mit einem eigenen Projekt zu begegnen.

Ganz so weit sind die USA noch nicht, zahlreiche Exponenten aus verschiedenen politischen, monetären und regulatorischen Lagern sind noch immer dabei, sich mit einer gewissen ablehnenden Vehemenz ein Bild über Dimensionen und mögliche Auswirkungen einer neuen Weltwährung zu verschaffen. Man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass diese Exponenten die Libra-Idee am liebsten begraben würden, noch bevor sie aus der Taufe gehoben wird.

Das ist insofern schade, als es nicht nur darum gehen kann, Libra und die Libra Association gut oder schlecht zu finden, als Gefahr oder als Chance zu begreifen, zu regulieren oder wegzuregulieren. Erweitert man das Blickfeld über das Libra-Projekt und seine Trägerschaft hinaus, bleibt eine Idee und eine Vision im Zentrum, welche in ihren Zukunftsperspektiven durchaus die eigene Fantasie anregen kann – und sollte.

Die US-Delegation in Bundesbern

Eine US-Delegation mit sechs Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses, angeführt von der Demokratin Maxine Waters, war vergangenen Freitag im Bundeshaus in Bern zu Besuch. Auf der Traktandenliste des informellen Treffens stand das Libra-Projekt. Wie man weiss, stört sich die US-Regierung unter anderem daran, dass die Libra Association ihren Sitz in der Schweiz (Genf) hat – in einem Land, das Blockchain- und Krypto-Projekten tendenziell sehr offen gegenübersteht. Zumal die Idee des Libra-Projekts in der Betrachtung von Exponenten der US-Regierung das Potenzial hat, das traditionelle Finanzsystem massiv zu stören, um nicht zu sagen, in weiten Teilen zu übernehmen.

Maxine Waters, die Vorsitzende des Finanzausschusses im US-Repräsentantenhaus, gilt als scharfe Kritikerin des Libra-Projekts. Sie und ihre Kollegen, Mitglieder des parlamentarischen Ausschusses für Finanzdienstleistungen, dürften mit kritischen Fragen im Gepäck nach Bern gereist sein. Fragen, deren Antworten Aufschluss darüber geben sollen, wie die Schweiz "die Weltwährung der Zukunft" kontrollieren will, in welche reglulatorischen Bahnen die Schweiz die Pläne der Libra Association lenken will und mit welchen Massnahmen der Datenschutz gewährleistet und durchgesetzt werden soll.

Die Gesprächspartner der US-Delegation im Bundeshaus waren Vertreter des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen (SIF) sowie der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) und mit am Tisch war der Eidgenössische Datenschutz- und Offentlichkeitsbeauftragte (EDÖB). Letzterer informiert regelmässig mit Updates zum Stand des Libra-Projekts, letzte Updates gibt's hier.

FDP-Nationalrätin Christa Markwalder sprach nach dem Treffen von einem "sehr konstruktiven Austausch", bestätigte das erhöhte Interesse der US-Delegation an den Regulierungspraktiken der Schweiz für den Finanzplatz und sie gab gegenüber dem Nachrichenmagazin 10vor10 zu Protokoll: "Wir konnten der Delegation aufzeigen, dass die Schweizer Regulierung kein schwarzes Loch ist, sondern dass die Behörden sehr genau hinschauen".

Weitere Details zu den Gesprächen waren nicht zu erfahren, zumal es sich um einen "informellen Austausch gehandelt haben soll", über dessen Ergebnisse nicht informiert wird.

Die Bedenken der US-Delegation

Dennoch dürften die Bedenken der US-Delegation nicht vollständig zerstreut worden sein. Die Schweizer Regierung, die Schweizerische Nationalbank und auch die FINMA als Regulierungsbehörde sind Innovationen gegenüber zugänglich und pflegen einen offenen Umgang mit neuen Ideen aus der Finanzbranche und zukunftsgerichteten Strömungen aus dem Lager von FinTechs. Das heisst konkret: in aller Regel werden neue Ideen regulatorisch nicht abgewürgt, sondern innerhalb vernünftiger Grenzen kanalisiert.

Zwei Tage vor dem Besuch der US-Delegation im Bundeshaus hat der Bundesrat eine Anfrage (Interpellation 19.3852) der SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo zur "Kryptowährung Libra" beantwortet – unter anderem bestätigt Punkt 5 diese offene Haltung:

((Frage von Prisca Birrer-Heimo))
5. Wie beurteilt der Bundesrat ein allfälliges Reputationsrisiko für die Schweiz, und welche Chancen sieht er bei der Standortwahl Genf durch die Libra-Drehscheibe? Was sieht er vor, um politische Risiken, bedingt durch diese neue "Schweizer"-Firma zu kontrollieren?

((Antwort des Bundesrates))
5. Die Sitzwahl der Libra-Verwaltungsorganisation in Genf ist grundsätzlich ein positives Zeichen für den Wirtschaftsstandort und den Finanzplatz Schweiz. Sie dürfte das Image der Schweiz als innovativen und offenen Standort stärken. Wie jedes grosse Projekt ist aber auch dieses mit Herausforderungen verbunden. Der Bundesrat verfolgt die Entwicklung aufmerksam. Die zuständigen Aufsichtsbehörden stehen in Kontakt mit den Projektverantwortlichen. Der Bundesrat will auch künftig für exemplarische Rahmenbedingungen sorgen, die Innovation ermöglichen und Missbrauch verhindern.

Sämtliche Fragen und Antworten der Interpellation können hier nachgelesen werden.

Bröckelt die Basis der Gründungsmitglieder der Libra Association?

Nach unbestätigten Berichten der Financial Times (Paywall) ist die Libra Association nicht in ihren Grundfesten erschüttert, aber immerhin sollen drei Partner aktuell prüfen, ob sie auf Distanz zum weltumspannenden Projekt gehen sollen. Wie die Financial Times zu berichten weiss, liege der Grund im wachsenden Druck der Regulatoren, welche dem Projekt kritisch gegenüberstehen würden. Konkret war von einem Partner die Rede, der die Befürchtung hegt, die öffentliche Unterstützung des Libra-Projekts könnte dazu führen, dass das eigene Unternehmen verstärkt in den Fokus der Regulatoren geraten würde.

Das Libra-Projekt ist ein Katalysator für weitere Initiativen

Seit die Libra Association ihre revolutionären Pläne im Juni 2019 vorgestellt hat, ist die Regulierungs- und Finanzwelt aus dem Dornröschen-Schlaf erwacht und in zusätzliche Bewegung geraten. Kein Wunder, das Projekt hat tatsächlich das Potenzial, die Welt, deren Finanzsysteme und die Finanzbranche zu verändern.

Nach einem Bericht von Bloomberg hat das das Libra-Projekt zum Beispiel bei Mark Carney, Gourverneur der Zentralbank von England, einen zündenden Funken entfacht. Carney denkt über eine grundlegende und massive Neugestaltung des globalen Finanzsystems nach. Um, unter anderem, einer "destabilisierenden Rolle des US-Dollars für die Weltwirtschaft" zu entgegen, schlägt Carney vor, eine digitale Leitwährung zu schaffen, nach dem Vorbild des Libra, um den US-Dollar als Leitwährung abzulösen. Die Libra Association will Carney bei diesem Projekt durch die Zentralbanken ersetzen, welche für eine gemeinsame Weltwährung stehen würden.

Auch die chinesische Zentralbank, die People's Bank of China, kann der Idee des Libra Reize abgewinnen und will weder den US-amerikanischen Konsortien noch anderen Ländern das Feld überlassen. So hat Mu Changchun, ein Exponent der Zentralbank, nach einem Bericht von Bloomberg kürzlich zu Protokoll gegeben, dass eine staatlich kontrollierte chinesische Digitalwährung "Close to Release" wäre. Eine Digitalwährung, welche von der Notenbank wie auch von Finanzinstitutionen ausgegeben werden dürfe und als neues Zahlungsmittel übers Smartphone eingesetzt werden können.

Der Griff nach den Sternen

Zahlreiche weitere Zentralbanken weltweit sind ebenfalls mit Projekten für digitale Währungen unterwegs und dürften durch das Libra-Projekt zusätzlich motiviert werden, nationale Lösungen möglicherweise globaler zu denken. Die Projekte der verschiedenen Zentralbanken funktionieren zwangsläufig nicht dezentral und widersprechen damit der Grundidee von Blockchain-basierten Kryptowährungen. Das ist im Moment aber nicht der Punkt, zumal auch dezentrale Projekte neuen Auftrieb erhalten durch die Initiativen hüben und drüben.

Wichtig ist vielmehr, dass gewohnte Denkmuster aufgebrochen werden und Raum geschaffen wird für visionäre Ansätze und Projekte. Ob und wann genau Libra real aus der Taufe gehoben wird, mag heute noch in den Sternen stehen. Was die Libra Association mit ihrem Projekt jedoch heute schon geschafft hat: auch andere, staatliche wie auch nicht-staatliche Institutionen und Unternehmen, greifen nach den Sternen, werden kreativ, entwickeln Ideen und bringen neue Bewegung in zahlreiche Zweige des Finanzsystems. Das ist grossartig. Weil nichts gut genug ist, um nicht immer wieder mal infrage gestellt und überdacht zu werden.