New Work

Google-Büros dürfen leer bleiben – und wie sieht's bei den Schweizer Banken aus?

Google-Gebäude in Zürich bei Nacht
Bild: Google

Google, Twitter, Siemens und andere gehören zu den Vorreitern: Home Office wird zur akzeptierten Form des Mitarbeitens. Gilt das auch bei Schweizer Banken?

Die Corona-Pandemie hat bisherige Arbeitsmodelle stark verändert und dem Modell "Home Office" kräftig Auftrieb gegeben. Die Vermutung, dass Home Office sich weiterhin zumindest als alternative oder wählbare Form des Zusammenarbeitens halten wird, verdichtet sich mehr und mehr zur Tatsache.

Google verschreibt Mitarbeitern weiterhin Home Office für ein volles Jahr

Nach einem Bericht des Wall Street Journal dehnt Google die Phase Home Office bis mindestens nächsten Juli aus – für praktisch alle der rund 200'000 Mitarbeiter des Konzerns. Diese Entscheidung hat Alphabet- und Google-Chef Sundar Pichai in Absprache mit weiteren Führungskräften gefällt und kommuniziert.

Pichai verweist auf die unsichere Lagen in den USA, zudem will er Planungssicherheit für Familien schaffen, die zum Teil auch Home Schooling unter den Hut der Zusatzaufgaben bringen müssen. Der CEO gibt sich empathisch und wird von WSJ aus einer Nachricht an die Google-Mitarbeiter zitiert: "Ich weiss, dass es nicht einfach war", schreibt Pichai, und "ich hoffe, das bietet euch die Flexibilität, die ihr braucht, um in den nächsten zwölf Monaten ein Gleichgewicht zwischen der Arbeit und der Sorge für euch und eure Lieben zu finden".

Starkes Statement eines CEOs, der als Chef von 200'000 Mitarbeitern deren Büroflächen weltweit weitgehend ungenutzt lässt. Man darf von zwei Dingen ausgehen:

Zum einen, Google als digitales Unternehmen musste Home Office während des Lockdowns nicht von Grund auf lernen, nur forcieren. Die gemachten Erfahrungen scheinen positiv genug zu sein, um ein weiteres Jahr Home Office möglich zu machen. Zum anderen wird Google die gigantisch grossen Büroflächen für 200'000 Menschen kaum ein volles Jahr lang "konservieren", da werden eher schnell neue Konzepte folgen. Deshalb ist nicht damit zu rechnen, dass im Juli 2021 die Belegschaft von Google in Vollbesetzung den Weg ins Büro antreten wird.

Home Office dürfte sich als Teil der Unternehmenskultur als Standard etablieren und wählbare Mischformen werden ziemlich sicher möglich bleiben. Zufriedene Mitarbeiter sind kreativer und bringen ein Mehr an Leistung, nicht mehr benötigte Büroflächen entlasten das Budget und schaffen Raum für neue Projekte.

Und was tun andere Unternehmen?

Verbindliche Positionen werden zum Teil erst bezogen, weitere Vorreiter gibt's jedoch auch.

Twitter: Home Office für immer
Allen voran Twitter mit rund 4'900 Mitarbeitern – der Kurznachrichtendienst war sich seiner Sache bereits Mitte Mai 2020 sicher und erklärte: «Wenn unsere Beschäftigten in einer Rolle und Lage sind, die es ihnen erlaubt, von Zuhause aus zu arbeiten, und sie für immer damit weitermachen wollen, werden wir das möglich machen». Ein klares Statement und auch ein Versprechen.

Bis mindestens September 2020 sollen die Büros geschlossen bleiben, nach der Öffnung entscheiden die Twitter-Mitarbeiter individuell, ob und wann sie ins Office zurückkehren oder eben im Home Office arbeiten möchten. Diese offene Form der Freiwilligkeit könnte Schule machen, weil sie Rücksicht nimmt auf unterschiedliche Temperamente, Wünsche, Vorlieben und auch auf persönliche Lebens-Situationen.

Siemens: Zwei bis drei Tage pro Woche im Home Office
Der Konzern will für mehr als die Hälfte der Mitarbeiter Home Office zum Standard machen – für zwei bis drei Tage pro Woche. Diesen Plan hat Siemens Mitte Juli 2020 kommuniziert, begleitet von einigen bemerkenswerten Statements.

Der designierte Siemens-Chef, Roland Busch, will diesen Kulturwandel im Konzern unterstützen und bezeichnet die Basis des neuen Modells als «eine Weiterentwicklung unserer Unternehmenskultur». Busch wird noch konkreter und sagt:

Damit verbunden ist auch ein anderer Führungsstil, der sich an Ergebnissen orientiert, nicht an der Präsenz im Büro

Jochen Wallisch, Executive Vice President Human Resources bei Siemens, wirft einen Blick auf die gemachten Erfahrungen während des Lockdown und sagt:

Wir haben gesehen, wie produktiv und effektiv das mobile Arbeiten sein kann – da haben sich einige Vorurteile in Luft aufgelöst

Weltweit sollen bei Siemens rund 140'000 Mitarbeiter von der neuen Regelung und der Abschaffung der starren Präsenzkultur profitieren können. Diese Zahl ist nicht willkürlich, sondern hängt mit den konkreten Funktionen zusammen, die mit oder eben ohne Präsenz am jeweiligen Firmensitz auskommen.

Wer noch?
Die Entwicklung läuft, ausgelöst durch Corona-Krise und Lockdown. Unternehmen wie Novartis und andere haben ihre Öffnung bereits kommuniziert und setzen auf das Modell Home Office. Zahlreiche andere Unternehmen evaluieren aktuell, welche Modelle oder Mischformen sinnvoll und machbar sind. Fakt ist, dass eine Entwicklung in Gang gesetzt worden ist, die ohne Druck von aussen erst sehr viel später konkrete Konturen bekommen hätte.

Und wie halten's die Banken in der Schweiz?

Die Signale mehren sich, dass auch Banken und Grossbanken Schritte in Richtung Flexibilisierung gehen wollen. So bezifferte zum Beispiel UBS-Chef Sergio Ermotti vor wenigen Tagen die Zahl der UBS-Mitarbeiter, welche permanent im Home Office arbeiten könnten, mit "20 Prozent bis zu einem Drittel". Ermotti sieht darin "immense Auswirkungen", welche mit den Büroflächen zusammenhängen, die von der UBS flexibler bewirtschaftet werden könnten. 

Die Grossbank will aus naheliegenden Gründen allerdings jene Mitarbeiter ins Büro zurückholen, deren Funktion eine beratende Rolle beinhalte und deshalb soziale Interaktionen oder direkte Kontakte mit Kunden notwendig machen würden.

Kann Home Office zum Selektions-Filter und zum Jobkiller werden?

Einen interessanten Gedanken haben letzten Montag unsere Kollegen von Finews gesponnen, der im "gut gemeinten Rat" gipfelt:

Wem sein Job lieb ist, sollte sich im Büro melden

Wirtschaftsjournalist Peter Hody begründet seine Empfehlung mit dem aktuellen fundamentalen Wandel der Banken- und Finanzbranche, "der dahin führt, dass ein noch nicht bestimmter Teil der Angestellten durch Digitalisierung und Industrialisierung obsolet wird". Hody befürchtet, dass "Banker, deren Jobs keine soziale Interaktion benötigen, die keinen Kundenkontakt haben, sondern als einziges Arbeitsinstrument den Computer nutzen, von der grossen Transformation am ehesten betroffen sein dürften".

Peter Hody führt in seinem eindringlichen Appell aus, dass man sich nur am offiziellen Arbeitsplatz als unentbehrlicher Mitarbeiter beweisen könne und nur durch Präsenz "Interesse und Identifikation" markieren kann. Wer präsent ist, so Hody, wäre "lebendiger Teil des Unternehmens und seiner Kultur", und: "im Blickfeld der Vorgesetzten und im Kontakt mit ihnen". Bedenken und Begründungen im Detail gibt's im Artikel auf Finews zu lesen: "Home Office: Wer bleibt, macht sich bei der Bank entbehrlich"

Was steht im Vordergrund: Leistung oder Präsenz?

In einem Punkt geben wir unserem Kollegen recht: Digitalisierungs- und Transformations-Programme können Jobs und Funktionen obsolet machen. Ob dieser Prozess durch physische Präsenz im Büro verzögert oder aufgehalten werden kann, wagen wir zu bezweifeln. Dennoch trifft Hody in seinen Überlegungen sicher einen Punkt, der sich etwas brutal ausgedrückt so zusammenfassen lässt:

Die Entbehrlichkeit einer Funktion kann im Büro durch Präsenz, Betriebsamkeit und eine gewisse Auffälligkeit kaschiert werden. Allerdings nicht unbedingt auf Dauer. Im Home Office fallen diese "Show-Effekte" weitgehend weg – deshalb kann Gefahr insofern drohen, als ein ohnehin unausweichlicher Prozess möglicherweise beschleunigt wird. 

Auf der anderen Seite: Wer schon vor der Corona-Krise und vor dem Lockdown durch Leistung aufgefallen ist – oder durch Kreativität und innovative Lösungen – wird diesen Leistungsbeweis auch im Home Office erbringen. Je nach Temperament und Neigung vielleicht sogar verstärkt und komprimierter. Zudem: Mischformen bleiben jederzeit möglich.

Jedes Unternehmen, das gilt auch für Banken, wird im eigenen Interesse Macherinnen und Macher mit messbaren Leistungen pflegen und halten – unabhängig davon, ob sie im Büro oder im Home Office arbeiten.

Mit anderen Worten: Home Office gehört zu den alternativen Arbeitsmodellen mit Zukunft, welche zahlreiche Vorteile für Wirtschaft, Unternehmen, Gesellschaft und Mitarbeiter bieten. Ein Modell, das Entlassungen weder forciert noch verhindert. Werden Funktionen obsolet, dann geschieht das durch Digitalisierung, Automatisierung von Prozessen, durch strukturelle Anpassungen und weitere Faktoren – nicht durch neue Arbeitsmodelle.

Möglicherweise ist sogar das Gegenteil der Fall, weil bestimmte repetitive Arbeiten besser, schneller und deutlich kostengünstiger im Home Office ausgeführt werden können. Dazu kommt, dass Home Office auch Quer-, Neu- und Wiedereinsteigern zusätzliche Chancen bieten kann, die im Büro aus unterschiedlichen Gründen gar nicht vorhanden waren.