Versicherung

Brauchen Versicherer bald selbst Versicherungen?

Bild: pichet_w | Getty Images

EY malt für die Zukunft der Versicherer ein eher düsteres Bild und benennt konkrete Massnahmen, um gegen die Risiken der Zukunft gerüstet zu sein.

Die aktuelle Studie des Beratungsunternehmens EY durchleuchtet den Versicherungsmarkt Schweiz und kommt zu ernüchternden Resultaten. EY sieht die Versicherungsbranche vor einem radikalen Umbruch.

Was den Versicherungsmarkt bremst und stagnieren lässt

Die Versicherer selbst sind optimistisch und wollen im Schnitt jährlich um 5 Prozent wachsen. EY ortet jedoch mehrere beeinflussende Faktoren, die ein weiteres Wachstum unwahrscheinlich erscheinen lassen:

  • Starker Schweizer Franken verhindert, dass das Bruttoinlandsprodukt wächst
  • Haushaltvermögen reduzieren sich bis 2018 um 0,1 Prozent, das dämpft die Nachfrage zusätzlich
  • Der Wachstumstreiber "Zunahme der Wohnbevölkerung" schwächt sich ab
  • Politisches und regulatorisches Umfeld wird anspruchsvoller
  • Negativzinsen als ernsthafte Gefahr für Versicherer

Dazu kommt, dass der Schweizer Versicherungsmarkt heute schon gesättigt ist. Mit jährlichen Versicherungsausgaben von CHF 7'267.– pro Haushalt (11 Prozent des Einkommens) liegt die Schweiz bei Werten, die nur gerade von Luxemburg noch übertroffen werden. EY geht davon aus, dass Schweizer Konsumenten in Zukunft vermehrt versuchen werden, die Ausgaben für ihren Versicherungsschutz zu optimieren, das heisst, zu reduzieren.

«Die Wachstumsmöglichkeiten des Versicherungsmarktes sind beschränkt, selbst ein Rückgang des Volumens ist denkbar.»

Achim Bauer, Insurance Leader EY Schweiz

Wunsch und Wirklichkeit driften auseinander

Zwischen den Unternehmenszielen der Versicherer und der prognostizierten Marktentwicklung klaffen Lücken. EY sieht darin verstärkten Handlungsdruck für die Schweizer Versicherer in einem Umfeld weitreichender Umwälzungen. Das durch die Studie ermittelte Szenario sieht im verschärften Wettbewerb die Konsequenz, dass bis ins Jahr 2030 mit höchster Wahrscheinlichkeit 45 Prozent der Schweizer Versicherer ihr Geschäft aufgeben müssen.

Parallel dazu drängen neue Anbieter in den Markt, wodurch weitere Unternehmen bedroht werden. InsurTechs und branchenfremde Grosskonzerne haben das Potenzial, erhebliche Marktanteile zu gewinnen. EY erachtet das Worst Case-Szenzario für denkbar, dass bis 2030 bestehende und neue Konkurrenten gemeinsam bis zu 70 Prozent der bisherigen Versicherungsunternehmen verdrängen.

Achim Bauer von EY hält dieses Szenario für durchaus wahrscheinlich – mit dem Verweis auf andere Branchen, welche ähnliche Entwicklungen durchgemacht haben, zum Beispiel der Mobiltelefonmarkt oder die Reisebranche. Als notwendige Handlungsoptionen für Versicherer benennt EY folgende Massnahmen und Alternativen:

  • Konsequent auf Skalierbarkeit setzen, um Effizienz zu steigern und Preisvorteile zu generieren
  • Innovationspotenzial von InsurTechs nutzen und Kooperationen eingehen
  • Massgeschneiderte persönliche Services anbieten, bei denen digitale Wettbewerber nicht mithalten können
  • Positionierung neu (nur noch) als Zulieferer für einen branchenfremden Konzern
  • Zusammenschluss mit Konkurrenten oder mit neuen Strategien auf die Karte Verdrängung setzen

Digitalisierung als Gefahr und als Chance

Die Digitalisierung hat den Versicherungsmarkt voll erfasst, neue Technologien haben die Position der Konsumenten sprunghaft verbessert. Die Folgen sind spürbar: das Preisbewusstsein steigt, die Loyalität nimmt ab. Dadurch entwickelt sich das Versicherungsgeschäft zu einem Consumer-to-Business-Modell (C2B). EY benennt Kundennähe, genaue Kenntnisse und schnelles Adressieren der Bedürfnisse zu Kernkompetenzen in dieser Situation. Und führt weiter aus, dass in ernsthafte Schwierigkeiten gerät, wer diesen Trend verpasst – während sich für neue Anbieter Chancen eröffnen.

«In fast allen Geschäftsbereichen gibt es mindestens einen Anbieter, der die Versicherungskunden besser kennt als die Versicherer selbst. Entsprechend gross ist das Risiko für traditionelle Anbieter, den Zugang zu den eigenen Kunden zu verlieren. Ein Beispiel dafür sind Motorfahrzeugversicherungen, hier wissen die Autohersteller viel genauer über die Bedürfnisse der Kunden Bescheid.»

Yamin Gröninger, Director EY Financial Services Schweiz (Studienleiterin)

Fazit: Fünf vor zwölf

Die Studie von EY formuliert im Fazit, dass für Versicherer der letzte Moment gekommen ist, jetzt und sofort energisch zu handeln: Strategie überdenken, Klarheit über eigene Stärken gewinnen und den Fokus sämtlicher Aktivitäten auf diese Kompetenz legen.

Denkbares Zusatz-Szenario

Kein Resultat der Studie von EY, als Szenario jedoch denkbar: Versicherer diversifizieren und entwickeln Strategien, die stärker als bisher in die Richtung klassischer oder neuer Bank- und Finanzdienstleistungen zielen. Nicht allzu weit hergeholt, weil das Kerngeschäft von Versicherern und die grossen, finanzaffinen Kundenportfolios Überlegungen in diese Richtung nahelegen.

EY Studie Versicherungsmarkt Schweiz: Kernpunkte der Studie

Stichworte im Lexikon zum Thema: InsurTech