Einzelhandel Schweiz

"When the going gets tough..." – der Einzelhandel vor und nach der Lockerung des COVID-19-Lockdown

Laden mit Schild Geschlossen
Bild: Axel Bueckert | Getty Images

Für Läden und Händler waren die letzten Corona-Wochen mit Lockdown schwierig und herausfordernd – einige Beispiele, was mit Kreativität und Flexibilität zu schaffen ist.

Laden zu, Flasche leer – nach den vom Bundesrat im März kurzfristig beschlossenen Lockdown-Massnahmen standen viele Läden vor schwierigen Herausforderungen und ihre Stammkunden vor geschlossenen Türen. Aber auch viele Online-Händler wurden von der Ankündigung der Post Logistics auf dem falschen Fuss erwischt und konnten die in der Krise massiv gestiegenen Volumina nicht in der erforderlichen Frist zu ihren Kunden liefern. MoneyToday.ch hat sich umgehört. Hier ein Lagebericht mit Beispielen, wie erfolgreiche Retailer rasch und kreativ auf die Krise reagierten und Handlungsempfehlungen, wie die anderen es ihnen nachtun können.

“When the going gets tough, the tough get going”

Der schmissige Nummer-1-Hit der britischen R&B Ikone Billy Ocean aus den 80er-Jahren steht sinngemäss für "Wenn die Zeiten hart sind, wird es Zeit für die Harten". Dieses Mantra inspiriert immer mehr der vom Lockdown massiv betroffenen Einzelhändler zu kreativen Lösungen. 

“I'm gonna get myself 'cross the river
That's the price I'm willing to pay
I'm gonna make you stand and deliver”

Auszug aus den Lyrics "When the going gets tough, the tough get going” von Billy Ocean

Nachdem die Kurzarbeitsformulare für die Verkaufsmitarbeitenden im behördlich geschlossenen Laden ausgefüllt sind, der Covid-19 Notkredit zur Liquiditätssicherung bei der Bank beantragt und auch schon ausbezahlt ist, schalten sie einen Gang höher. Im Zentrum steht die Frage, wie man als Händler auch bei geschlossenen Filialen oder Quasi-Ausgangssperre für die Kundschaft da sein kann. 

Teilweise chaotische Zustände bei der Wiedereröffnung

Die vom Bundesrat anberaumte (Wieder-)Eröffnung vieler Läden stiess bei den Kunden auf grossen Widerhall, wie die Bilder in zahlreichen Medienberichten und den sozialen Medien belegen. Lange Schlangen und Wartezeiten von mehr als 30 Minuten an den Kassen waren eher die Regel als die Ausnahme. Dies birgt sowohl auf Seiten der Kundschaft als auch bei den Mitarbeitenden ein gewisses Frustrationspotential. Verursacht durch den ersten Ansturm zeigten sich in gewissen Regalen schon gegen Mitte Woche erste Lücken im Sortiment. 

Lieferbereitschaft rasch über alternative Kanäle hochgefahren

Die vorausschauenden Store Manager sind aber vorbereitet. Sie tragen diesem Umstand Rechnung, indem sie Stammkunden aktiv auf alternative Bestell- und vor allem ausgeweitete Liefermöglichkeiten aufmerksam machen – auch im Laden. So orientierte das Warenhaus Globus seine Stammkundschaft umgehend via Flyer und Newsletter über die ausgeweitete Lieferbereitschaft für das gesamte Delicatessa-Sortiment. Und dies noch vor der verordneten Schliessung der Ladengeschäfte. 
 

Kundinnen und Kunden konnten aus einer vorkonfektionierten Auswahl an Genusspaketen wählen und sich diese per Sofortlieferung innerhalb von weniger als 60 Minuten an die Haustüre bringen lassen. Ein Angebot, welches auch bei einigen Chefs Anklang fand, die ihre Mitarbeitenden mit einem kulinarischen Gruss im Home Office überraschten. Die Dispositionen aller Lieferungen – ob Ex-Filiale oder Ex-Zentrallager, ob mit Kurier, Post oder einem anderen Dienst – erfolgt dabei zentral über ein vom Zuger Startup Annanow entwickeltes Tool, das auch in vielen Online Shops bereits eingesetzt wird.

Das gerade in der Krise stark wachsende Logistik- & Fintech Unternehmen war letztes Jahr übrigens Gewinner der Kategorie Fintech & Digital Assets im Kickstart Accelerator Programm. (Moneytoday.ch hat berichtet: Annanow gewinnt auf der letzten Meile und dreht deshalb eine Extra-Meile in eigener Sache).

Baumärkte und Gartenzentren als Vorreiter

Der Text aus besagtem Lied von Billy Ocean scheint auch bei Jumbo auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Seit einiger Zeit arbeitet man beim Anbieter von Heimwerker- und Gartenbedarf und Mitglied der Manor-Gruppe am Ausbau der Dienstleistungen rund um Sofortlieferungen, teilweise gar versichert. Der Öffentlichkeit dürfte insbesondere die Christbaum-Aktion noch in Erinnerung sein, welche Jumbo schon 2018 ebenfalls in Kooperation mit Annanow durchgeführt hat. Für einen Fünfliber konnten zum Beispiel Kunden der Jumbo Filiale Zürich Hardbrücke ihre Nordmanntanne innerhalb von weniger als einer Stunde ab Kauf nach Hause liefern lassen.

Von Store-to-Customer zu Hub-to-Customer – Händler schalten im Rekordtempo um

Gemäss Fabian Rauber, Head of Marketing bei Jumbo, halfen die frühen Erfahrungen mit Sofortlieferungen bei der raschen Skalierung der internen Abläufe als Reaktion auf die Lockdown-Ausnahmesituation:

 «Viele unserer Kundinnen und Kunden konnten oder wollten ihr Zuhause von einem Tag auf den anderen nicht mehr verlassen oder standen vor verschlossenen Ladentüren. Dass wir ihnen das Jumbo-Sortiment an Heimwerk- und Gartenartikeln trotzdem innerhalb von so kurzer Zeit per Lieferung anbieten konnten, zeigt, dass wir mit dem Jumbo-Onlineshop und den dazu notwendigen Logistikpartnern vieles richtig gemacht haben.»

Durch die Zusammenarbeit mit Annanow hat Jumbo neben Zeit auch eine signifikante Menge an Karton-Verpackungsmaterial eingespart und reduziert. Für Sofortlieferungen mit den Kurieren ist in der Regel nämlich auch kein Umpacken mehr notwendig.

Jeden Tag eine neue Herausforderung bei Steg Electronics

Rasches Handeln war auch bei Steg Electronics angezeigt. Normalerweise liefere man auch online bestellte Ware über eine der schweizweit fast 20 Filialen zum Kunden, sagt Steg Geschäftsführer Malte Polzin. Um die aktuell fast exklusiv über den Webshop eingehenden Aufträge via zentralem Warenlager abzuwickeln, wurden die Inventare der Filialen quasi über Nacht zurück in den Hub geschafft.

Steg rechnet damit, dass die massiv gestiegenen Umsätze den Wegfall des stationären Geschäfts in den geschlossenen Filialen online mehr als nur kompensieren werden. Allerdings sei dies nur dank der Parforceleistung des ganzen Teams möglich gewesen, sagt Polzin und ergänzt:

Steg Electronics war ja eigentlich zuvor schon ziemlich agil unterwegs – aber der Speed, mit dem das ganze Team die täglich neu auftauchenden Herausforderungen meisterte, hat mich sehr beeindruckt

In der Krise die Marketingausgaben verdoppeln?

So erfrischend antizyklisch hat Amorana auf die Covid-19 Krise und den Lockdown reagiert. Eine ähnliche Strategie hätten sich die von massiv eingebrochenen Werbeerlösen arg gebeutelten Medienhäuser sicherlich nicht nur vom flamboyanten Startup aus dem zürcherischen Glattbrugg gewünscht. Umso mehr boten sie aber Hand, gemeinsam mit Alan Frei, Amorana Co-Founder und Marketingchef, unkonventionelle Content- und Anzeigenformate auszutüfteln. Frei zum Thema:

Die damit überproportional gestiegene Reichweite konnten wir direkt in Transaktionen ummünzen

Zwar hat Amorana die für dieses Frühjahr gehegten Pläne für stationäre Pop-up-Formate nach hinten schieben müssen, aber Frei gewinnt der Krise geschäftlich wie auch persönlich viele positive Seiten ab: «Ich habe auch meine eigenen Gewohnheiten den Umständen angepasst und trainiere seit drei Wochen mit einen Online Personal Trainer».
 

Auch der Laden um die Ecke handelt unkonventionell

Die Papeterie Fischer durfte zwar ihr Ladengeschäft in Zürich nach wie vor offen halten. Die behördlichen Vorgaben verhinderten jedoch einen geregelten Betrieb, unter anderem weil die Abstandsregeln nicht effizient umgesetzt werden konnten, wie Yves Horat erläutert. Zusammen mit seiner Mutter führt er das in der Limmatstadt bestens bekannte Fachgeschäft für Büroartikel. Unter dem "Corona-Regime" wird die Laufkundschaft direkt an einem zum Schalter umfunktionierten Eingang bedient. Wie es scheint, sind die zahlreichen Home Officer dankbar für diese Nahversorgung im Quartier:

«Die grosse Loyalität unserer Kunden zeigt mir, dass wir gerade in einer derart monumentalen Krise nur gemeinsam stark sind. Deshalb ist es gerade für einen kleinen Einzelhändler wie die Papeterie Fischer auch Verpflichtung, unsere Kunden nicht nur flexibel mit unserem Sortiment zu unterstützen, sondern mit einem offenen Ohr oder einem Lächeln auch etwas Zuversicht zu vermitteln.»

Eine Bestellung bleibt Yves Horat besonders in Erinnerung. Zusammen mit Patronen für einen Drucker legte er höchstpersönlich auch noch einen Traumfänger ins Paket. Dieser war seiner Stammkundin nämlich schon beim letzten normalen Besuch im Laden aufgefallen. Vielleicht würde dieses Accessoire ja helfen, die Träume ihrer Tochter von bösen Gedanken zu befreien, hoffte die Kundin. Obwohl eigentlich ein persönliches Reisesouvenir und nicht im offiziellen Sortiment der Papeterie Fischer, kam Horat dem Kundenwunsch gerne nach. 

Treffend lautet der Refrain eines weiteren Hits von Billy Ocean auch:

“..get outta my dreams, get in to my car...”


In der Corona-Krise das Heft in die Hand nehmen

Was Unternehmer und unternehmerisch denkende Händler zum Thema zu sagen haben:

Erfahrungen und Learnings von Exponenten aus unterschiedlichen Branchen.