Vollgeld

Vollgeld-Initiative: Klare Sache oder gefährliches Experiment?

Bild: Martinns | Getty Images

Die Schweizer Bevölkerung stimmt am 10. Juni 2018 über die Vollgeld-Initiative ab. Ein Thema, das Experten in drei Lager spaltet und das Stimmvolk verwirren dürfte.

Die Idee des Vollgeld-Systems ist nicht neu und in der Vergangenheit von verschiedenen Ökonomen und Wirtschaftswissenschaftlern in unterschiedlichen Ausprägungen zur Diskussion gestellt worden.

Im Kern ist das Vollgeld-System darauf ausgerichtet, die Geldschöpfung von Geschäftsbanken durch die Vergabe von Krediten einzuschränken oder ganz zu verbieten. Je nach Ausprägung der Konzepte dürften Geschäftsbanken nur noch Kredite in der Höhe vergeben, welche durch entsprechende Reserven bei der jeweiligen Zentralbank vorhanden sind. Neues Geld könnte nur noch durch die Zentralbank geschaffen werden.

Die Vollgeld-Initiative in der Schweiz

In Überlegungen und theoretischen Szenarien ist und bleibt das Vollgeld-System international in der Diskussion, findet Anhänger und Gegner. Was auffällt: Exponenten, welche Stellung beziehen und sich für oder gegen das Vollgeld-System aussprechen, tun das oftmals sehr vehement. Das Thema polarisiert: Man ist nicht tendenziell dafür oder hat Bedenken und argumentiert eher ablehnend – die Lager teilen sich in glühende Berfürworter und erbitterte Gegner.

Die in die Diskussion mit eingepackten Emotionen dürften hauptsächlich mit zwei Punkten zusammenhängen:

Zum einen stellt die Vollgeld-Initiative das traditionelle und etablierte Finanzsystem nicht nur infrage, sondern verteilt die Rollen bei der Geldschöpfung völlig anders und schliesst Geschäftsbanken dabei aus. Und zum anderen liegen keine Erfahrungswerte aus der Praxis vor, was diese Umstellung auslösen oder längerfristig bewirken kann. 

Ein geistiger Vorwärts- und Rückwärtssalto mit abschliessender Spirale

Bisher hat sich noch kein Land an die konkrete Umsetzung der Idee gewagt, das Vollgeld-System ist vorderhand ein theoretisches Modell. Deshalb wird die Schweiz zum international stark beachteten Modellfall, die Schweizer Bevölkerung nimmt am 10. Juni 2018 an der Urne Stellung zum Thema.

Das bedingt, dass innerhalb der nächsten zwei Monate das Kunststück gelingen muss, knapp 5,5 Millionen stimmberechtigten Menschen in der Schweiz sachlich zu erklären, was die Vollgeld-Initiative eigentlich ist. Sachlich deshalb, weil bereits eingefärbte Meinungen von Befürwortern und Gegnern als Parteien- und Lager-Kommentare empfunden werden können, die zu Auslassungen neigen. Der Anteil von rund 45 Prozent der aktiv abstimmenden Bevölkerung wünscht sich deshalb möglicherweise weniger Meinung, mehr Fakten und eine Präsentation der Chancen und Risiken. 

Was einfach erscheint, wird zur höchst anspruchsvollen Aufgabe. Das Begreifen und Einordnen der Vollgeld-Initiatve dürfte für manche Stimmbürger mit einem geistigen Vorwärts- und Rückwärtssalto mit abschliessender Spirale verbunden sein – die Initiative hört sich im ersten Anlauf sehr einfach und eingängig an, präsentiert sich dann jedoch auf den zweiten Blick komplex bis zur Überforderung.

Damit befindet sich das Stimmvolk allerdings in guter Gesellschaft mit einer Vielzahl von Experten, welche bis heute aus guten Gründen weder zu den feurigen Befürwortern noch zu den erbitterten Gegnern gehören.

Pro und Kontra versus Unsicherheit

Die Argumente für oder gegen die Initiative listen wir hier nicht auf, die sind bekannt und können im Detail nachgelesen werden. Zum Beispiel hier:

Die Pros der Befürworter
Die Initianten fassen auf ihrer Website die Pro-Argumente eingängig zusammen. Im Kern mit den aus ihrer Sicht zu schaffenden Vorteile und Zugewinnen von Sicherheit, Stabilität, Fairness und mit der Aussicht, dass die Nationalbank alle diese Versprechen garantieren und einlösen wird, wenn sie alleine für die Geldschöpfung verantwortlich zeichnet.

Die Initianten sind sehr umtriebig, die Website ist inzwischen extrem umfangreich, bringt Umfrageergebnisse zur Initiative, "Stellungnahmen zu Kritik", versucht die "Angstkampagne der Gegner" zu zerpflücken und fasst im Pressespiegel zusammen, wie Medien zur Vollgeld-Initiative stehen.

Die Website ist als Informationsportal auf unterschiedliche Zielgruppen ausgerichtet: Von Schnelllesern ohne viele Vorkenntnisse, welche sich mit einem Blick über die wichtigsten (eingängig formulierten) Argumente informieren, bis zu Tiefschürfern, die sich im Detail mit der Materie befassen möchten.

Die Kontras der Gegner
Die Gegner der Initiative argumentieren im Kern mit den Vorteilen des bisherigen Geldsystems, das sich aus ihrer Sicht bewährt hat, stellen Unsicherheiten und Risiken in den Vordergrund, welche das Vollgeld-System bringen würde und plakatieren die negativen Auswirkungen, welche in ihrer Betrachtung mit einer Annahme der Vollgeld-Initiative zu erwarten wären.

Die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) publiziert regelmässig zum Thema und fasst die ablehnende Haltung der SBVg, der Banken, Verbände und anderer Gruppen zusammen.

Mit dabei das Nein und die Haltung von Bundesrat, Nationalbank (Thomas Jordan) und Economiesuisse sowie von Gewerkschaftsseite (SGB, Daniel Lampart). Die SBVg bringt zudem die Resultate einer Studie der Uni Lausanne, deren Ergebnisse in Kurzform (Deutsch) oder in ausführlicher Form (Englisch) runtergeladen werden können. 

Die Informationen der Neutralen
Eine neutrale Betrachtung gibt's auch, herausgegeben als "Leitfaden für jedermann" zur Vollgeld-Initiative von Prof. em. Urs Birchler und Prof. Jean-Charles Rochet vom Institut für Banking und Finance der Universität Zürich.

Die Lautlosigkeit der Unsicheren
Eine Vielzahl von Ökonomen und Experten, welche sich nicht eindeutig festlegen wollen, bleibt eher unsichtbar und unhörbar. Eben deshalb, weil sie weniger öffentlich, mehr in persönlichen Gesprächen die Ansicht vertreten, dass die Vollgeld-Initiative in ihren Auswirkungen nicht absolut schlüssig in die Zukunft projeziert und damit nicht konsequent "nach vorne gedacht" werden kann. Deshalb lassen sie die eingängigen und mit Überzeugung vorgebrachten Argumente der Befürworter nicht durchwegs gelten, ebenso wenig wie die Kontra-Argumente der Gegner. Ohne die Überlegungen der Initianten vehement und rundweg abzulehnen, teilen sie jedoch zum Teil die Befürchtungen der Gegner, welche die Initiative als Experiment sehen. Allerdings nicht als Experiment mit den prognostizierten und klar formulierten negativen Auswirkungen, eher als mit Unsicherheiten behafteter Weg, welcher noch sehr viele Fragezeichen enthält, die sich erst in der Umsetzung und Praxis auflösen würden. Im Guten oder im Schlechten.

Wer hat die besseren Argumente?

Am 10. Juni 2018 entscheiden nicht Experten, die Schweizer Stimmbevölkerung wird darüber befinden, welche Geldmengenpolitik oder welches Geldsystem für die Schweiz in Zukunft das richtige sein soll, das bisherige oder eine neues. Eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, ein Thema, das teilweise nicht mal Experten absolut klar ist, Frau und Herrn Schweizer näherzubringen. Zumal deren Entscheidung möglicherweise die Weichen stellt für ein Geldsystem, dessen Auswirkungen sich nicht durchwegs klar vorzeichnen lassen.

Ergo zählen möglicherweise nicht unbedingt oder nicht nur die besseren Argumente, vielmehr die Gabe, ganz normalen Menschen etwas sehr Komplexes in einfacher und verständlicher Form klar zu machen. Sollten dafür emotional aufgeladene Experten ins Rennen geschickt werden, die sich eine erbitterte Redeschlacht liefern, kann der Schuss für die eine oder für die andere Seite nach hinten losgehen, weil Zuhörer aussteigen, bevor sie erfasst haben, worum es eigentlich geht. Das kann zu einem Zufallsergebnis führen und das wünscht sich niemand – für Zufälle ist das Thema zu wichtig.

Wer hat die besseren Karten?

Um es vorweg zu nehmen und auf die Gefahr hin, dass wir uns wiederholen: die besten Karten gehören in die Hände der abstimmenden Bevölkerung. Die Frage stellt sich allerdings, wie diese Karten ausgestaltet werden sollen, um den Weg in die Hände des Stimmvolkes zu finden.

Aktuell sind die Befürwortet argumentativ im Vorteil, weil sie mit sehr einfachen "Formeln" operieren, die auf den ersten Blick einleuchten und eigentlich nur Vorteile versprechen. Bisherige Umfrageresultate spiegeln das, in der Vergangenheit dominierten die Ja-Anteile:

Die Gegner der Vollgeld-Initiative haben noch sehr viel tun, um ihre Sicht der Dinge darzustellen und ihre Sujets auf jene Karten zu malen, welche bereits am 10. Juni 2018 von der Schweizer Bevölkerung ausgespielt werden. Bundesrat, Ständerat und Nationalrat haben der Initiative eine klare Abfuhr erteilt, das ist allerdings noch kein Garant dafür, dass die Schweizer Bevölkerung den Empfehlungen folgen wird.

Mögen die Initianten auch zu viel versprechen und mögliche Nebenwirkungen verschweigen, sie agieren hörbarer und sichtbarer im Vergleich zu den Gegnern. Und sie haben begriffen, wie wirkungsvolle Kommunikation funktioniert: einfach, eingängig, nachvollziehbar.

Eine Arena im Schweizer Fernsehen wird nicht ausreichen, das Thema von allen Seiten zu beleuchten und zumindest im Ansatz ein Verständnis für Chancen und Risiken zu schaffen. Dazu braucht es mehr auf allen verfügbaren Kanälen. Und die Gegner sind gut beraten, nicht darauf zu vertrauen, dass das Schweizer Stimmvolk traditionellerweise nein sagt, wenn sich ein Thema zu komplex und damit schwer verständlich präsentiert. Oft ist das so, manchmal auch nicht. 

Deshalb sollten Stimmbürgerinnen und Stimmbürger von beiden Seiten im besten Sinne einfache Argumente in verständlicher Form und nachvollziehbar präsentiert bekommen. Sachlich und ohne Experten-Gezänke. Damit sie wirklich entscheiden können, weil sie wissen, worüber sie entscheiden. 

Die Argumente eines Befürworters


Das Internet und verschiedene Kanäle sind voll mit Interviews und Gespräche zur Vollgeld-Intiative. Ein aktuelles Interview hat Lukas Hässig von Inside Paradeplatz am 29. März 2018 mit Martin Alder geführt, der für die Initianten spricht.

Schlagabtausch im Ständerat


Ebenfalls ineressant die Argumente und Unsicherheiten in der Zusammenfassung der Debatte im Ständerat vom 28. September 2017, Kommentare zum Video inklusive.

Die Initianten selbst kämpfen mit harten Bandagen und sprechen in ihren Stellungnahmen zu Kritik oftmals von "Fake News", "Falschaussagen" und "Bewusster Irreführung".