Big Techs

Apple-CEO Tim Cook zu den Verrückten, welche die Welt verändern

Apple-Chef Tim Cook
Tim Cook, CEO Apple (Quelle: Apple Inc.)

Dass Apple die 1-Billion-Dollar-Marke geknackt hat, ist fast schon Schnee von gestern. Bevor er schmilzt, nochmals ein Blick auf Apple. Und ein zweiter Blick auf Europa.

Der Wirtschafts- und Finanznachrichtensender CNBC hat ein Memo publiziert, das Apple-Chef Tim Cook an seine rund 120'000 Mitarbeiter verschickt hat. 

Der Text ist angenehm kurz, drückt Freude, Stolz und Danke in verschiedene Richtungen aus, führt zurück auf die Philosophie des Apple-Gründers und erinnert an eine bemerkenswerte Haltung und Aussage von Steve Jobs.

Tim Cook unterstreicht, dass das Erreichen der 1-Billion-Dollar Marke nicht der wichtigste Massstab für den Erfolg von Apple sein kann. Er sagt: "Finanzielle Erträge sind das Ergebnis der Innovationen von Apple, die unsere Produkte und Kunden an die erste Stelle setzen und stets unseren Werten treu bleiben". Die Haltung des Apple-Gründers Steve Jobs umschreibt Cook mit folgenden Worten in seinem Memo:

"Steve gründete Apple in der Überzeugung, dass die Kraft der menschlichen Kreativität auch die grössten Herausforderungen lösen kann – und dass die Leute, die verrückt genug sind zu denken, dass sie die Welt verändern können, diejenigen sind, die das tun. In der heutigen Welt ist unsere Mission wichtiger denn je."

Apple in der Vergangenheit

Die Geschichte von Apple und das "Wie es kam" hat Christiane Hanna Henkel für die NZZ in Wort und Grafik sehr schön nachgezeichnet. Vor allem die Grafik im Artikel zeigt eindrücklich, dass nach den mageren Jahren und nach dem Fast-Kollaps von Apple ab 1998 unter Steve Jobs plötzlich alles ziemlich schnell ging. Und nach der Jahrtausendwende vor allem steil aufwärts.

Im Zentrum standen und stehen Ideen und Produkte, welche Kunden wollen, nutzen und kaufen. Wie zum Beispiel iMac, iPod, iTunes, App Store, Apple Music – vor allem aber das iPhone, welches die Welt, das Leben von Millionen Menschen sowie deren Kommunikations- und Medienverhalten innerhalb von nur gut zehn Jahren radikal verändert hat.

Die Apple-Strategie

Als 2007 das iPhone in erster Version als Smartphone und Internet-Kommunikator eingeführt worden ist, hat Steve Ballmer, der damalige CEO von Microsoft, die Marktchancen mit folgender Aussage qualifiziert:

«Das iPhone ist nur ein gewöhnliches Telefon (…) Ausser der Marke hat Apple nichts in petto, was andere Anbieter nicht auch zu bieten hätten. Daher garantiere ich ihnen, dass sich das iPhone nicht sonderlich verkaufen wird.»

Stimmt, telefonieren konnte und kann das iPhone heute noch, wie ein "gewöhnliches Telefon". Aber sonst kam alles ganz anders. In Dimensionen, die vor zehn Jahren niemand für möglich gehalten hätte. Deshalb ist der plakative Irrtum von Ballmer nachvollziehbar, obschon sich bereits zu dieser Zeit mit Blick auf bisherige Strategie und Vergangenheit von Apple eine andere Prognose hätte ableiten lassen: 

Apple hat andere Anbieter in zahlreichen Branchen nicht direkt konkurrenziert, vielmehr zu Partnern gemacht oder im weiteren Verlauf schlicht instrumentalisiert. Um aus einem "gewöhnlichen Telefon" eine multifunktionale und multimediale Internet-Kommunikations-Zentrale zu kreieren, die sämtliche Lebensbereiche umfasst. Damit hat Apple nicht nur ein neues Benutzerverhalten kreiert, auch der bisherige Telefon-Anbieter-Markt ist völlig umgepflügt worden.

Hätte das Ökosystem in einer Papiertüte Platz, gäb's kein iPhone

Im Kern verkauft Apple weder ein Telefon noch ein Device, mehr eine Mischung aus Lebensgefühl, Autonomie, Vernetzung, Kommunikation, Information, TV, Musik und Lebensorganisator. Alles kompakt verfügbar und mit hohem Nutzwert. Apple bietet damit eine neue Art von "Sicherheit" und ein Gefühl des jederzeit-mit-allem-und-mit-allen-Verbundenseins. In Form eines kompletten Ökosystems, das immer dichter gewoben wird.

Und weil dieses wachsende Ökosystem nicht in einer Papiertüte Platz hat, brauchte es eben einen anderen Mantel. Der kam vor gut zehn Jahren auf den Markt, hört auf den Namen iPhone und war nie und zu keiner Zeit als blosses Telefon gedacht. Apple produziert keine Telefone, der Konzern liest Menschen, nimmt Wünsche vorweg und erfüllt Bedürfnisse, bevor sie bewusst vorhanden sind. Braucht's dazu ein Telefon, wird dieses eben mitgeliefert.

Apple in der Gegenwart

Apples Gegenwart braucht nicht erklärt zu werden, die findet sichtbar für alle statt. Interessant ist allerdings ein Blick auf die letzten Quartalsergebnisse, die Apple Ende Juli 2018 mit starken Zahlen präsentiert hat. Stark genug, um den Konzern kurz danach in der Bewertung die 1-Billion-Dollar-Marke knacken zu lassen.

Die Zusammenfassung der Daten zeigt, dass Europa nach den USA der zweitstärkste Absatzmarkt ist. Und, wenig überraschend, dass das iPhone nach wie vor der Hauptgenerator für die Apple-Umsätze ist. Die Relationen sind dennoch erstaunlich – die Umsatzanteile von iPad, Mac, Services und anderen Produkten nehmen sich (nur im Vergleich zum iPhone) fast schon bescheiden aus.

Apple in der Zukunft

Im Moment scheint es so, als würden Apple und damit die Big Techs (GAFAM), welche die digitale Gegenwart dominieren, auch die digitale Zukunft und deren Technologien weitgehend unter sich ausmachen. Zumindest in sehr zentralen Bereichen. Gerade noch gestört durch die BAT-Vertreter, Baidu, Alibaba/Alipay und Tencent, ebenfalls Big Techs, welche unter chinesischer Flagge segeln und die aktuell auch in Europa kräftig Anlauf holen.

Was Apple in Zukunft vorhat, lässt sich natürlich nicht punktgenau vorhersagen, aber immerhin ein Stück weit aus der Vergangenheit ableiten. So wie der Konzern 2007 weder Telefonproduzent noch Telefonanbieter sein wollte, so wird Apple auch in Zukunft sein verzweigtes Ökosystem pflegen und weiter ausbauen. Devices sind Mittel zum Zweck, mehr nicht, allerdings in Design und Funktionen hervorragend ausgeführt.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Was kommt nach dem iPhone, das nicht nur der Hauptumsatzbringer ist, sondern aktuell auch die physische Hülle des Ökosystems bildet?

Und Europa?

Big Techs in den Dimensionen von GAFAM und BAT gibt's in Europa nicht, diese Züge fahren in den USA und in Asien. Aber es gibt in Europa eine Vielzahl von klugen Köpfen, leidenschaftlichen Forschern und Entwicklern sowie eine hohe Dichte von erstklassigen Universitäten und anderen wissenschaftlichen Stätten mit Praxisbezug. 

Damit lässt sich arbeiten. Auf die Fährte der Big Techs braucht man sich nicht zu setzen, diese Züge sind abgefahren und die Distanzen zu gross. Aktueller Erfolg und Grösse allein schaffen jedoch keine Garantien für die Zukunft. Ist das Heute und ist das unmittelbare Morgen durch technologische Leader bereits besetzt, findet sich möglicherweise offenes Terrain im Übermorgen. 

Die Devices von heute haben ein Verfallsdatum, wir werden unser Leben nicht ewig mit Smartphones oder zu gross geratenen Watches am Handgelenk organisieren. Was kommt danach? Tippen ist mühsam, Sprechen ist viel einfacher und die Zukunft liegt in der Sprachsteuerung. Schon klar, alles längst in Arbeit. Aber wo genau? Vor allem in den USA und in Asien oder auch in Europa? Wenn nein zu letzterem, warum nicht?

Oder wenn dieses technologische Morgen schon zu eng besetzt ist, lässt sich diese Runde überspringen und wir beginnen im Übermorgen? Wenn nein, warum nicht? Haben wir zu wenig "Leute, die verrückt genug sind zu denken, dass sie Welt verändern können – und dass es diejenigen sind, die genau das tun"? Haben wir zu wenig visionäre Köpfe? Oder verwalten wir zu sehr bisher Erreichtes – in der Hoffnung, die Errungenschaften der Vergangenheit mögen veränderungsfrei den Ansprüchen von morgen noch genügen?

Wie auch immer, Europa hat die Wahl: Entweder haben wir das Potenzial, weiterhin der zweitstärkste Absatzmarkt für Apple und andere Big Techs zu bleiben, das ist ja schon was. Oder wir bündeln unsere Ressourcen, überspringen eine verlorene Runde und beliefern andere Absatzmärkte mit den Technologien der Zukunft, die neu (auch) aus Europa kommen. An "Verrückten" mangelt es Europa nicht. Ein guter Zeitpunkt deshalb, über andere Defizite nachzudenken und diese einfach aus dem Weg zu räumen.