Ökosysteme

Wie Unternehmen mit Ökosystemen umgehen sollten

Gemüseauslage vor einem Laden
Bild: Baloncici | Getty Images

Was Ökosysteme mit dem Bäcker und dem Gemüseladen um die Ecke zu tun haben. Eine Betrachtung von Eric Salzmann zum Umgang mit Ökosystemen.

Zahlreiche Firmen, darunter auch viele Finanzunternehmen, haben Ökosysteme für sich entdeckt. Wer seinen Kunden und Aktionären zeigen kann, dass er sich mit Ökosystemen auseinandersetzt, hat schon mal ein Zeichen gesetzt und geht die Herausforderungen der heutigen Zeit aktiv an.

Allerdings: Themen wie Digitalisierung, verändernde Regulatoren und Regularien, Globalisierung und mehr verlangen mehr als nur gerade blosse Aufmerksamkeit: Reinknien ist angesagt. Alle relevanten Faktoren zu sortieren, zu beurteilen, zu gewichten und die richtigen Schlüsse aus den Analysen zu ziehen – das ist eine Herkulesaufgabe.

Was ein Ökosystem nicht ist

Beratungsunternehmen haben den Trend "Ecosystem" längst erkannt und verkaufen komplette Ökosystem-Setups. Dazu gehören spezifische Analysen, Konkurrenzvergleiche, Use Cases, neue Ideen, Visionen und die passenden Strategien.

Oft werden Ökosysteme mit Plattformen gleichgesetzt, was nicht selten dazu führt, sich als Owner der Plattform in der Rolle des Orchestrators inszenieren zu wollen. Das kennt man ja von Amazon, Alibaba, Facebook und anderen, die schon mal vorgespurt haben.

Es ist prinzipiell nicht falsch, wenn eine Firma sich den Weg ausmalen will, den man gehen muss, um das nächste Amazon zu werden. Das Management frohlockt und alle sind ganz begeistert von der Aussicht, in absehbarer Zeit ein Multi-Milliardenkonzern zu werden. Die Beratungsfirmen holen sich dadurch lukrative Mandate und können so ihre Konzepte perfekt skalieren.

Dass aber der Firma A im Kern dieselbe Aussicht auf Erfolg durch die Beratungsfirma angeboten wird wie der Firma B, sieht offensichtlich keiner, da unter Firmen solche Themen nicht besprochen werden (alles streng geheim). Im Resultat stehen möglicherweise mehrere Orchestratoren mit eigenen Plattformen im selben Ökosystem. Ohne auf diesen Punkt zu achten rennen alle los und blind in dieselbe Richtung, ohne sich je effektiv in einem Ökosystem ausgetauscht zu haben. 

Der Gemüseladen "kauft" ein Ökosystem

Es ist ein wenig so, wie wenn der Gemüseladen um die Ecke eine Beratungsfirma engagiert und durch Marktanalyse, Konkurrenzanalyse und entsprechende Insights auf das Angebot einsteigt, einen Gemüsemarktplatz zu eröffnen. Er soll dann dort die Möglichkeit schaffen, das Gemüse aus der Region von diversen Anbietern anpreisen zu können. Die Konsumenten von Gemüse (Gastro sowie Private) sollen dadurch motiviert werden, auf dem Gemüsemarktplatz das angebotene Gemüse zu kaufen.

Argumente, warum und wie der Gemüsemarktplatz umzusetzen wäre, werden auch gleich mitgeliefert. Das ganze Gemüse der Region ist an einem Ort verfügbar, der Gemüsekonsum steigt in der Schweiz stetig, Bedarf an lokalen Produkten explodiert und der Preis kann durch die grossen Mengen der Güter für den Endkonsumenten gesenkt werden.

Alles in sich stimmig und korrekt. Der Gemüseladen ist zu einem "Orchestrator" geworden, der die Plattform "Gemüsemarktplatz" besitzt. Das Risiko zu scheitern ist allerdings erheblich und die Investitionen, um einen Gemüsemarktplatz aufzubauen, sind alles andere als unbedeutend.

Was ein Geschäfts-Ökosystem sein sollte

Ein Geschäfts-Ökosystem ist das Netzwerk von Organisationen, einschliesslich Lieferanten, Händlern, Kunden, Wettbewerbern, Regierungsbehörden und weiteren Parteien, die am Vertrieb eines bestimmten Produkts oder einer bestimmten Dienstleistung sowohl durch Wettbewerb als auch durch Zusammenarbeit beteiligt sind. Die Idee ist, dass jede Entität im Ökosystem von der anderen beeinflusst wird, wodurch eine sich ständig weiterentwickelnde Beziehung entsteht, in der jede Entität flexibel und anpassungsfähig sein muss, um wie in einem biologischen Ökosystem zu überleben (Definition nach Investopedia).

Nicht zwingend anstelle des Gemüsemarktplatzes, sondern zusätzlich, empfiehlt es sich als Gemüseladen, sich im Ökosystem auszutauschen, umzuhören und zu fragen, was erwünscht ist, was benötigt wird und was die Probleme sind. Der Gemüseladen soll mit den Restaurants im Quartier reden, sich mit den andern Gemüseläden austauschen, die Schulen vor Ort, Firmen, Gärtnereien, den Goldschmied und den Bäcker mit einbeziehen.

So erhält der Gemüseladen und so bekommen auch alle anderen Involvierten ein gesamthaftes Bild. Sie erkennen, in welchen Rollen sie tätig sind oder sein können. Ideen können vorab mit potenziellen Interessenten besprochen werden. Ungeahnte oder bisher nicht wahrgenommene Möglichkeiten können sich eröffnen, wenn der Gemüseladen mit dem Bäcker ein Produkterweiterungsgeschäft eingeht. Der Bäcker verkauft neu knackiges Gemüse und der Gemüseladen bietet frisches Brot. Die Schule äussert den Bedarf von gesunden Pausensnacks für die Kinder und die Lehrerschaft. Der Goldschmied plant eine Herbstkollektion in Rotgold und betrachtet eine Kürbis-Deko als optimal. 

Meistens hat man so gleich einen Partner oder den ersten Kunden für seine Idee. Dies ermöglicht es auch, ein schnelles Feedback einzuholen. Was funktioniert, was nicht, wo muss noch justiert werden? Zudem sind die Investitionen sehr kontrolliert und können phasenweise getätigt werden. Was am Anfang im Kleinen zu blühen beginnt, kann sehr schnell wachsen und durch die Dynamik aller Beteiligten im Ökosystem bisher noch ungeahnte Möglichkeiten eröffnen.

Was ich generell damit sagen will:

Ein Ökosystem lässt sich nicht durch das Mandat eines Beratungsinstituts einkaufen, sondern muss aktiv durch die Firma gelebt werden

Wie komme ich da rein? 

Eigentlich ist jeder Teil von Ökosystemen und bereits mittendrin. Die Frage ist nur, in welchem man sich befindet und wie aktiv dieses Ökosystem ist. Eventuell gilt es, das Ökosystem in dem man schon drin ist, überhaupt erst zu aktivieren. Den Mitgliedern dieses Ökosystem muss aufgezeigt werden, dass… 

  1. … sie Teil davon sind und…
  2. … sich grosse Vorteile ergeben, wenn sie sich aktiv einbringen.

Was opfere ich und was bekomme ich?

Etablierte Firmen (Konkurrenten, Zulieferer, etc.), Startups, Markt- und Segments-ferne Firmen, Behörden und auch Kunden tauschen sich regelmässig aus –  im Plenum, direkt untereinander, geheim oder öffentlich – über diverse Themen, Use Cases, Produkte, politische Betrachtungen und mehr.

Daraus resultieren Kooperationen, MVPs, politische Vorstösse, Events, Konferenzen, neue Produkte und damit ein einmaliges Ökosystem, welches miteinander und durch gemeinsame Leistungen auch Einmaliges kreiert. Selbstverständlich bleibt es jedem Unternehmen überlassen, ob und wie tief es sich zu einem Thema einbringen und austauschen will. Wichtig ist, dabeizusein und Mehrwert in irgendeiner Art zu schaffen. 

Je nach Präferenzen eines Unternehmens können Themen im Ökosystem geteilt, allenfalls direkt mit einem Partner angepackt oder auch zuerst ausschliesslich in der eigenen Firma kultiviert werden. Es gibt aus meiner Sicht vier Kategorien von Ideen und Use Cases.

  • 1. Die Geheimen
    Jene, die man als Firma "in den eigenen vier Wänden" verfolgen möchte, da man einen Wettbewerbsnachteil identifiziert, sofern man die Idee frühzeitig kommuniziert.
  • 2. Die Kooperativen
    Man hat selber eine Idee, kriegt sie jedoch nicht alleine hin, weiss aber genau, mit wem man die Idee realisieren möchte.
  • 3. Die Explorativen
    Man hat eine Idee, bei der man sich nicht sicher ist, weiss nicht genau, wer da mithelfen und wie das angegangen werden könnte. Einfach gesagt, man ist auf Hilfe angewiesen, ist sich aber nicht klar, welche Art von Hilfe von wem benötigt wird.
  • 4. Die Zugewanderten
    Man erfährt von Ideen und findet sie interessant. Man will mitmachen und engagiert sich mit. Eine gewissermassen neue, zusätzliche und nicht eingeplante Chance.

Die grossen Beratungsunternehmen bauen innerhalb ihres Mandats meist auf geheime und auch auf kooperative Ideen und Use Cases. Von explorativen und zugewanderten Ideen/Use Cases erfährt man jedoch nur, wenn sich eine Firma aktiv in einem Ökosysteme bewegt und selbst aktiv agiert. Nur dann öffnet sich der Zugang und entsprechende Ideen können aufgenommen und vorangetrieben werden.

Weitere Vorteile liegen auch darin, dass das Ökosystem sich als Verband organisieren und so zu einer politischen Grösse werden kann. Zudem sind wichtige Trends oder Technologien schneller fassbar und erfahrbar. Neue Chancen können sofort geprüft und direkt wahrgenommen werden. Und das Wichtigste aus meiner Sicht ist das schnelle Feedback zu Ideen/Use Cases von Experten – das kann helfen, allfällige Fehlinvestitionen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig zu stoppen.

Eine Zusammenfassung

Im Überblick nochmals die wesentlichsten Vorteile einer Beteiligung an einem aktiven Ökosystem:

  • Neuer Zugang zu Ideen/Use Cases (explorative und zugewanderte Ideen/Use Cases)
  • Politische Macht
  • Zuverlässiger und aktueller Trend- und Technologien-Radar
  • Steigerung der Attraktivität des Unternehmens
  • Möglichkeit, frühzeitig auf Chancen aufzuspringen und mitzuwirken
  • Mitgestalten eines Marktes
  • Frühzeitiges Feedback/Antworten vor grossen Investitionsvorhaben

Resultat und Benefit: Wer bereit ist, sich aktiv an einem Ökosystem zu beteiligen und es mitzugestalten, erhält ein Vielfaches zurück.

Der Autor: Eric Salzmann

Eric Salzmann hat im Finanztechnologie-Bereich so ziemlich alle Rollen erleben dürfen: Entwickler, Projektleiter, Berater, Business-Analyst, Applikationsmanager.

Als Entrepreneur, Mitarbeiter und Mitgründer des Think Tanks Fintechrockers hat er es sich zudem zur Aufgabe gemacht, das Thema FinTech zu vertreten und bestmöglich zu fördern – zum Nutzen von allen Beteiligten.

Eric Salzmann auf Linkedin und auf Twitter.