Widersprüchliches rund um die Insolvenz von Wirecard

Ein blauer Sparschwein in Trümmern
Bild: Christian Horz | Getty Images

Wie geht es mit dem Wirecard-Konzern weiter? Ein Blick auf die Wirecard AG, auf aktuelle Entwicklungen und auf die Tochtergesellschaften.

Die Wirecard AG ist nicht ein einziger grosser Laden mit Sitz in Aschheim bei München, Wirecard ist ein Konzern mit 5'800 Mitarbeitern weltweit, die an 26 Standorten agieren. Deshalb verzweigt sich der Blick auf das FinTech-Unternehmen in Insolvenz – der Konzern hat zahlreiche Unternehmensbereiche und Tochtergesellschaften, die mehr oder weniger stark zusammenhängen. 

Wirecard AG: Kreditgebende Banken sind irritiert

Nach verschiedenen Medienberichten sind die kreditgebenden Banken irritiert, dass die Wirecard AG am 25. Juni 2020 den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wegen der Gefahr einer drohenden Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung gestellt hat. Wie unsere Kollegen von der FAZ erfahren haben, hätten die Gläubigerbanken Wirecard angeboten, die Ende Juni kündbare Kreditlinie über 1,85 Milliarden Euro bis zum 30. September 2020 zu verlängern. Die Kreditgeber wären bereit gewesen, so die FAZ, Wirecard eine Brückenfinanzierung bis Ende September zu gewähren, damit das Unternehmen Verbindlichkeiten in dreistelliger Millionenhöhe erfüllen könnte.

Als Bedingung für die verlängerten Kredite hätte das Konsortium der Banken keine knallharten Forderungen gestellt, sondern nur gerade das übliche Minimum verlangt – nämlich, dass Wirecard einen Gutachter beauftragt, der bis Ende September ein Sanierungskonzept erstellt.

Im Gegensatz dazu steht das Unternehmensstatement zum Insolvenzantrag, das der Vorstand von Wirecard am 25. Juni publiziert hat und das die Kündigung der Kredite als "Wahrscheinlichkeit" bezeichnet:

"Die Wirecard AG hat im Rahmen der normalen Geschäftstätigkeit Kredite von Finanzinstituten in Anspruch genommen. Die Wirecard AG hat mit den Kreditinstituten Verhandlungen geführt und dabei die jüngsten Entwicklungen berücksichtigt. Ohne eine Einigung mit den Kreditgebern bestand die Wahrscheinlichkeit der Kündigung und des Auslaufens von Krediten mit einem Volumen von 800 Mio. EUR zum 30. Juni 2020 und 500 Mio. EUR zum 1. Juli 2020."

Stimmen die Informationen der FAZ, wäre die drohende Kündigung der Kredite bereits vom Tisch und zumindest die kurzfristige Finanzierung des Unternehmens durch die kreditgebenden Banken sichergestellt gewesen.

Zudem, sofern wir die Stellungnahme des Vorstands zur aktuellen Lage des Unternehmens richtig interpretieren, war die einzige Bedingung des Bankenkonsortiums bereits am 22. Juni 2020 erfüllt, bevor drei Tage später (25. Juni 2020) der Antrag auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahren gestellt worden ist.

In dieser Stellungnahme vom 22. Juni hat der Vorstand der Wirecard explizit festgehalten, dass Fachleute von Houlihan Lokey, spezialisiert auf Sanierungsfälle und Insolvenzen, mit im Boot sind:

"Gemeinsam mit der renommierten und international tätigen Investmentbank Houlihan Lokey prüft die Gesellschaft Möglichkeiten für eine nachhaltige Finanzierungsstrategie des Unternehmens."

Teil derselben Stellungnahme war die Aussage:

"Wirecard steht weiterhin in konstruktiven Gesprächen mit seinen kreditgebenden Banken hinsichtlich der Fortführung der Kreditlinien und der weiteren Geschäftsbeziehung, inklusive hinsichtlich einer Ende Juni bevorstehenden Verlängerung der bestehenden Ziehung."

Das bedeutet, anders ist die Irritation der Banken kaum zu deuten, dass zwischen 22. und 25. Juni 2020 offensichtlich neue Fakten oder Ereignisse zu grundsätzlichen Unterschieden in Betrachtung und Haltung zwischen dem Bankenkonsortium und dem Vorstand von Wirecard geführt haben müssen. Deshalb stellt sich die Frage:

Warum unterstellt der Vorstand die Wirecard AG "freiwillig" einem Insolvenzverahren, wenn doch das Bankenkonsortium gewillt ist (war), weiterzumachen? 

Diese Ungereimtheit dürfte in der weiteren Aufarbeitung nicht die einzige bleiben.

Wirecard Bank: Inwieweit ist die Bank betroffen?

In der einer Mitteilung vom 27. Juni 2020 informiert die Wirecard AG Kunden und Partner zum laufenden Geschäftsbetrieb. Darin hält der Vorstand der Wirecard AG fest, dass mit der Stellung des Insolvenzantrags das Geschäft der Wirecard fortgesetzt würde. Der Vorstand ist der Meinung, dass "eine Fortführung im besten Interesse der Gläubiger" wäre.

Zudem geht Wirecard auf weitere Geschäftsbereiche und Tochtergesellschaften ein. Der Vorstand von Wirecard verweist explizit darauf, dass die Wirecard Bank nicht Teil des Insolvenzverfahrens der Wirecard AG wäre. Allerdings hält der Vorstand in derselben Mitteilung auch fest, dass laufend geprüft werde, "ob auch Insolvenzanträge für Tochtergesellschaften der Wirecard-Gruppe gestellt werden müssen".

Der Vorstand von Wirecard zur Wirecard Bank:

"Die Wirecard Bank ist aktuell nicht Teil des Insolvenzverfahrens. Der Zahlungsverkehr der Wirecard Bank ist nicht betroffen. Auszahlungen an Händler der Wirecard Bank werden weiterhin ohne Einschränkungen ausgeführt."

Die Wirecard Bank selbst zur aktuellen Situation:

"Angesichts der aktuellen Ereignisse möchten wir darauf hinweisen, dass die Wirecard Bank AG nicht Teil des Insolvenzverfahrens der Wirecard AG ist.

Die BaFin hat für die Wirecard Bank AG bereits einen Sonderbeauftragten eingesetzt. Die Freigabeprozesse für alle Zahlungen der Bank liegen seitdem ausschliesslich innerhalb der Bank und nicht mehr auf Gruppenebene. Mittelabflüsse an die insolvente Wirecard AG und Tochtergesellschaften sind unterbunden.

Wir erwarten keinen Ausfall unserer operativen Prozesse bei der Zahlungsabwicklung für unsere Handelspartner. Mit unseren Partnern wie Visa und Mastercard stehen wir im intensiven Informationsaustausch."

Ausverkauf weiterer Unternehmensteile?

Die Auslegeordnung der Geschäftsbereiche der Wirecard und ihrer Tochtergesellschaften dürfte auch für bisherige Konkurrenten von Bedeutung sein. Wie zu vernehmen ist, haben bereits mehrere Unternehmen Interesse an Geschäftsbereichen der Wirecard AG bekundet, unter anderen die französische Worldline. Mitentscheidend für dieses Interesse wird sein, welche Kunden und Partner mit an Bord bleiben. Verschiedene Parteien stellen aktuell ihre Geschäftsbeziehung zu Wirecard infrage, unter anderen die Kartenorganisationen Visa und Mastercard.

Wie geht es mit dem Wirecard-Konzern weiter?

Inwieweit die Wirecard AG oder einzelne Tochtergesellschaften weiterbestehen, aufgelöst oder teilverkauft werden, ist im Moment völlig unklar. Zumal von aussen nicht ohne Weiteres beurteilt werden kann, wie und mit wem einzelne Gesellschaften innerhalb des Konzerns verflochten sind und welche Abhängigkeiten bestehen.

Verschiedene Untersuchungsbehören und auch private Beratungsgesellschaften sind am Werk – es wird sich erst später zeigen, wo und in welchem Umfang von Insolvenz, Auflösung, Sanierung oder Normalbetrieb (Tochergesellschaft wie zum Beispiel die Wirecard Bank) gesprochen werden kann.

Neben Vorstand und Management der Wirecard AG stehen vor allem auch die BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) im Fokus, welche sehr spät aktiv geworden ist, sowie die EY (Ernst & Young), welche die Bücher und die Bilanzen der Wirecard AG geprüft hat.