Nachgefragt bei Ruedi Maeder, Chefredaktor von MoneyToday

Traditionelle Banken sind wie Supertanker in einem Ozean voller Schnellboote

Ruedi Maeder, Chefredaktor MoneyToday.ch

Marc Landis, Chefredaktor der Netzwoche, im Dezember-Gespräch mit Ruedi Maeder zu zentralen Aspekten der Finanzindustrie.

Ruedi Maeder ist Chefredaktor der Informationsplattform MoneyToday.ch, welche auf die digitale Transformation der Finanzindustrie fokussiert. Maeder ist überzeugt, dass Banken bisher den Kunden zu wenig ins Zentrum gestellt haben und dass an der Börse künftig Wertpapiere als Tokens gehandelt werden.

Was fasziniert Sie an der Finanzindustrie?

Ruedi Maeder: Der Finanzbereich ist hochinteressant! Da bewegt sich extrem viel. Seit einigen Jahren schlägt nun auch die Digitalisierung spürbarer durch, die sowohl wirtschaftlich, politisch, als auch gesellschaftlich alles verändert. Es kommt eine enorme Transformation auf die Finanzindustrie zu. Denn bisher haben sich die Player im Vergleich zu anderen Industrien kaum bewegt. Diesen Wandel begleitet MoneyToday.ch.

Was sind denn aktuell die Themen, mit denen sich Teilnehmer der Finanzbranche auseinandersetzen müssen? 

Viele, ein zentrales Beispiel: Die ganze Welt spricht von Kundenzentriertheit. Das ist ja ein schönes Wort, gelebt wird es aber praktisch nicht. Nicht, weil die Unternehmen es nicht wollen, sondern weil es sehr schwierig ist.

Wie meinen Sie das?

Die Digitalisierung hat vieles möglich gemacht – heute können beispielsweise Startups Banken werden. Doch für die traditionellen Finanzdienstleister hat die Digitalisierung vieles auch verkompliziert. Einerseits gibt es Kernbankensysteme, die teilweise seit Jahrzehnten existieren und kaum noch pflegbar sind. In dieser Infrastruktur wirkungsvoll zu digitalisieren und neue Geschäftsmodelle zu integrieren, ist unglaublich schwierig, um nicht zu sagen, fast unmöglich. Ein weiterer Punkt ist die Haltung: Banken, die seit 50 oder 100 Jahren existieren, denken wenig überraschend oftmals sehr traditionell. Wenn sich die Märkte und Zielgruppen verändern, sagen viele Banker auch heute noch: Egal was passiert, Banking ist mein Geschäft, das gehört mir, immer schon. Dass sie ihr Business ganz schnell teilen müssen oder sogar verlieren könnten, kommt ihnen gar nicht in den Sinn. Ein drittes Problem der Banken sind die sich verändernden Regularien, nicht zuletzt PSD2.

Damit sprechen Sie die Zahlungsdienste-Richtlinie der EU an, die eine Öffnung des Marktes für Drittanbieter vorschreibt.

Genau. Die Banken fragen sich, warum sie plötzlich ihre Schnittstellen öffnen und ihre Kunden und damit dieses Kapital mit anderen Firmen wie beispielsweise FinTechs teilen sollten. Die Alteingesessenen denken oftmals in der Vergangenheit, anstatt die Vorteile von Open Banking zu sehen. Und dann haben die Banken noch ein viertes Problem: Ihre Grösse. Mit 50’000, 60’000 oder mehr Mitarbeitern sind sie wie Supertanker unterwegs: Sehr behäbig. Das in einem Ozean, in dem es von Schnellbooten nur so wimmelt. 

Die Banken sind also zu traditionell und zu behäbig für die Digitalisierung. Wie kommen sie denn da raus? 

Es gibt natürlich auch Banken, die es gut machen. In der Schweiz zum Beispiel die Hypi Lenzburg. Dort wird ein hybrides Banking versucht, bei dem digitalisiert wird, aber bei dem der klassische Kunde trotzdem weiterhin erhält, was er gewohnt ist. Das kann ein Vorbild für andere Banken sein, wobei es kleinen und mittleren Banken leichter fallen dürfte, sich zu transformieren. Schwieriger ist es für Grossbanken, weil ihnen ihre Supertanker-Attitüde im Weg steht.

Und wie verwandeln sich diese Grossbanken in ein Schnellboot?

Gar nicht. Hybrid-Banking dürfte nicht viel bringen, weil da zusätzlich Unternehmens-Kultur und Prozesse im Wege stehen können. Stattdessen könnten sie die Innovation quasi auf die grüne Wiese auslagern und in Start-ups investieren, eigene oder bestehende. So können sie Lösungen finden, die wirklich den Kunden ins Zentrum stellen.

Das steht im Gegensatz zu vielen Versuchen, in denen dafür Inhouse-Lösungen entwickelt werden.

Ja, aber diese Methode funktioniert nicht. Inhouse-Start-ups werden nie wirklich unabhängig. In ihrer Struktur und Philosophie bleiben sie immer die kleine Schwester der Grossbank. Innovativ zu sein ist dadurch sehr schwierig. Es macht für mich mehr Sinn, wenn die Banken Start-ups mit Freiräumen, den besten Leuten, Möglichkeiten und Geld ausstatten. Das Kapital dafür ist ja vorhanden.

Ein Grossunternehmen, das extern ein Start-up aufbaut. Das soll funktionieren?

Ja, Kannibalisierungs-Effekte inklusive. Und es muss funktionieren. Die Banken haben nicht mehr zehn Jahre Zeit, weil auch Big Techs mehr und mehr Terrain besetzen. Wenn die Banken jetzt nicht pushen, wird es ganz schwierig. Damit dieser Grüne-Wiese-Ansatz funktioniert, brauchen die Start-ups allerdings ihre Freiheiten. Es wäre völlig sinnlos, sie zweimal in der Woche zum Rapport antreten zu lassen, dann würde man nur wieder versuchen, deren Lösungen mit traditionellem Banking zu verwässern.

Twint dürfte ein solches Beispiel sein, oder? Das war ja eine ziemlich unglückliche Geschichte …

Das ist so. Da haben sich zuerst Paymit und Twint bekriegt. Zwei Lösungen, die von Banken entwickelt wurden, in einem so kleinen Land wie der Schweiz. Unglaublich eigentlich. Als man dann fusionierte, war es eigentlich schon zu spät. Big Techs wie Apple, Amazon und andere waren bereits in den Finanzsektor vorgedrungen. Zwar noch nicht so stark wie in andere Bereiche, aber das wird noch kommen. Für die Banken bedeutet dies, dass sie neue Geschäftsmodelle brauchen. Sie brauchen eine klare Strategie. Sie dürfen die Digitalisierung nicht dazu nutzen, nur gerade ihre bestehenden Prozesse zu digitalisieren, damit kommen sie nirgends hin. Das ist aber das, womit sie sich bisher grösstenteils begnügt haben. 

Sie sprechen die Big Techs an. Werden diese das Retail-Banking übernehmen?

Ich fürchte, die sind schlauer. Sie werden es nicht einfach übernehmen, auch wenn sie es längerfristig könnten. Apple und Co. haben aber nicht allzu viel Lust auf Regulierung. Die sagen sich, dass die traditionellen Banken ihre Prozesse im Griff haben und vielleicht Hilfe bei den Legacy-Systemen brauchen. Die Gefahr für die Banken besteht darin, dass Big Techs die Bereiche übernehmen, in denen das meiste Geld verdient wird. Die Banken dürften dann gerade noch ihre Infrastruktur beisteuern und werden zum Prozessausführer.

Dann würden die Banken aber ihre Kundenschnittstellen komplett abgeben.

In diese Richtung könnte es gehen. Amazon-Chef Jeff Bezos hat bereits Banken in den USA pitchen lassen. Die haben sich gegenseitig unterboten, weil sie unbedingt mit Amazon ins Boot steigen wollen. Ob es im Sinn der Banken ist, nur noch die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, wage ich zu bezweifeln. Für Kunden wäre es aber in der Auswirkung super.

Warum?

Sprechen wir wieder von Open Banking: Das ist weder eine gute noch eine schlechte Idee. Es ist die Folge des technologischen und gesellschaftlichen Wandels und wird kommen. In einem Front-End kann dadurch alles angeboten werden, was der Kunde will. Dadurch können FinTechs Kunden direkt ansteuern und Banken bieten nur noch an, was gewünscht ist. Der Gewinner ist der Kunde, der zu seiner Bank gehen kann und alles kriegt, was er sich wünscht. Es gibt Banken, die das verstanden haben, wie etwa die Deutsche Bank. Doch viele tun sich noch schwer damit. Einige blockieren sogar die Entwicklung von Open Banking. Sie bauen zwar Schnittstellen, allerdings unbrauchbare. Damit untergraben sie die Idee der PSD2. In Deutschland wurden deshalb schon Banken vom Regulator zurückgepfiffen. Das kostet alles Zeit, die andere Firmen nutzen, um den Rückstand, den sie gegenüber traditionellen Banken hatten, aufzuholen.

Mag sein. Aber ich verstehe auch die traditionellen Banken. Mit solchen Schritten wollen sie Zeit gewinnen, um sich neu aufzustellen. Sie können ihrerseits Rückstände aufholen, Berater an Bord holen, etc. 

Das stimmt und kann funktionieren, nur wird die Zeit knapp. Aber wie wäre es mit dieser, zugegebenermassen etwas naiven Strategie: Jeder fokussiert sich auf seine Stärken: Die Banken können Traditionelles am besten. Anderes können Big Techs und FinTechs besser. Wenn man sich an einen Tisch setzt und überlegt – beispielsweise mit Open-Banking-Ansätzen – wie man all das auf verschiedenen Seiten vorhandene Know-how am besten nutzt, finden sich vielleicht Lösungen, die einen miteinander statt gegeneinander arbeiten lassen. Aber ich denke, dafür ist keine Bereitschaft vorhanden. Jeder hat Angst, vom anderen ausgebootet zu werden. 

Wie sieht es denn mit dem Private Banking aus. Auch dieses wird sich verändern. Die junge vermögende Generation wird nicht mehr bei Julius Bär reinlaufen und die Luft der 70er-Jahre atmen wollen …

Private Banking ist nach wie vor eine der grössten Pfründe der Schweizer Banken. Sie glauben, den behalten sie für immer – was auch möglich ist, aber nicht in der bisherigen Ausprägung. Man sieht es schon an der heutigen Erben-Generation: Die wollen Dinge lieber selber machen, als den Berater zu konsultieren. Sie haben auch weniger Lust, hohe Gebühren zu zahlen wie noch ihre Eltern und Grosseltern. Die Millennials und die Generation Z sind noch extremer, die wollen so viel Selbstbestimmung wie möglich.

Von Privatbanken hört man oft, dass Relationship-Manager mit Digital-Advisors kombiniert werden sollen, um die Jungen zu locken. Sie sind überzeugt, das ist der richtige Weg …

Diese Rezeptur ist zu einfach, das wird längerfristig kaum funktionieren. Natürlich, einige der vermögenden Kunden werden das wollen, aber nicht die Mehrheit. Sie brauchen keine Berater, die sich ständig um sie kümmern. Sie wollen Ergebnisse sehen. Und tiefe Gebühren. Entweder liefern die Banken oder die Jungen schauen sich anderweitig um. Der Zeitgeist schlägt durch: Wenn FinTechs und Big Techs mit entsprechenden Angeboten locken, können die traditionellen Privatbanken über Nacht Kunden verlieren. Der Faktor Mensch und Beratung bleibt schon wichtig, bekommt jedoch ein ganz anderes Gesicht.

Wie wird sich der Börsenhandel im Zuge der Digitalisierung verändern?

In diesem Bereich wird sehr viel passieren, die Entwicklung läuft. Teilweise hat es ja auch schon Veränderungen gegeben. Früher war eine Börse eine Börse, da gab es keine Konkurrenz. Derzeit entstehen aber Handelsplätze für digitale Vermögenswerte, die wenig bis nichts mit traditionellen Handelsplätzen zu tun haben. Ich denke, künftig wird auch beim Börsenhandel die Tokenisierung von Vermögenswerten im Zentrum stehen. Besonders interessant: Ich zerstückele Assets wie Immobilien oder Aktien und mache sie in Teilen handelbar. Das braucht andere Prozesse und eine andere Infrastruktur. Da sind derzeit viele Akteure am Ball, die alle etwas vom Kuchen abhaben wollen. Beispielsweise das Start-up Sygnum, das in kürzester Zeit eine Vollbank-Lizenz erhalten hat. Oder Seba. Auch der Schweizer Börsenbetreiber Six hat das erkannt mit der digitalen Börse SDX und will sich verändern. Das alles geschieht aktuell überall und mit forciertem Tempo.

Sie glauben, dass künftig alles via Tokens gehandelt wird?

Daran führt kein Weg vorbei, denke ich. Die Akteure müssen sich daran gewöhnen, dass man nicht mehr wie früher ein Papier ersteht und es nach Hause gesendet bekommt. Auch hier geht es wieder um Kundenzentrierung: Es ist doch viel einfacher, wenn man vom Handy oder Laptop aus handeln kann, gerne auch rund um die Uhr. Oder wenn man beispielsweise nur Teile einer Aktie kaufen kann, die man sich sonst nicht leisten könnte, beispielsweise eine von Lindt & Sprüngli.

Letzte Frage: Viele bestehende und neue Player sind mit im Spiel, wer wird gewinnen?

Eine Gewinner-Fraktion steht heute schon fest: die Kunden. Von Anbieterseite werden jene gewinnen, die sich auf veränderte Umfelder und vor allem auf genau diese Kunden ausrichten, den Begriff „Kundenzentriertheit“ ernst nehmen, tatsächlich leben und damit das Banking der Zukunft aktiv mitgestalten. Mit alten und überholten Geschäftsmodellen ist diese Nuss nicht zu knacken, mit neuen Ideen und grossartigen Dienstleistungen aber schon. Im Kern ist es einfach – ich bin mir sicher, dass es den Kunden der Zukunft egal sein wird, ob herausragende Services von Banken, FinTechs, Big Techs oder anderen Anbietern kommen. Wer das finanzielle Leben von Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen einfach und komfortabel macht, ist für Menschen und Märkte interessant. Diesen Platz zu besetzen und zu halten, ist für Anbieter nicht einfach, aber lohnend. Wer diese Hürden nimmt, wird mit dabei sein und ganz vorne mitspielen – versprochen!

Dieses Interview ist erstmals Anfang Dezember 2019 in der Netzwoche publiziert worden.