Risikokapital wurde in den letzten Jahren für erfolgversprechende FinTechs oftmals nach einer allgemein akzeptierten Formel gesprochen: hohe Verluste im Tagesgeschäft und beunruhigende Cash Burn Rates waren in Ordnung, sofern das FinTech ein atemberaubendes Wachstumstempo vorweisen konnte. Sehr hohe bis abenteuerliche (Über-) Bewertungen nach Finanzierungsrunden waren normal und gehörten mit zum Treibstoff, der die Gewinnaussichten bei Übernahmen oder bei Börsengängen beflügelt hat.
Der Wind hat inzwischen gedreht, die eingetrübte Wirtschaftslage lässt VCs vorsichtiger agieren. Risikokapital fliesst weiterhin, ist jedoch an deutlich straffere Bedingungen gebunden. Erreichbare Profitabilität rückt wieder in den Vordergrund, Wachstum um jeden Preis ist Geschichte und die Zeit der zu hohen Bewertungen ist vorüber.
Klarna erhält 800 Millionen Dollar – Bewertung um 85 Prozent reduziert
An der aktuellen Finanzierungsrunde waren neue und bisherige Investoren beteiligt. Mit dem frischen Kapital von 800 Millionen US-Dollar will Klarna vor allem in den USA seine starke Marktposition weiter ausbauen.
Die Post-Money-Bewertung liegt nun bei 6.7 Milliarden Dollar und damit um volle 85 Prozent tiefer als bei der letzten Finanzierungsrunde. Im Juni 2021 hatten die Investoren ihr FinTech noch mit 45.6 Milliarden Dollar bewertet.
Die Frage "Wie kann ein Tech-Unternehmen dermassen stark an Wert verlieren?", ist in diesem Fall falsch gestellt, Klarna hatte nie einen Wert von 45.6 Miiliarden. Bei den aktuell kommunizierten Zahlen sind die überbordenden Fantasien rausgerechnet und die Bewertung ist schlicht auf ein normaleres Niveau runtergeschraubt worden, das eher nachvollziehbaren Kriterien und Massstäben folgt.
Das FinTech ist wohl extrem schnell gewachsen, schreibt aber nach wie vor tiefrote Zahlen. Der Verlust 2021 von mehr als 680 Millionen Dollar entspricht in etwa der Höhe der letztjährigen Juni-Finanzierungsrunde. Auch im laufenden Jahr schreibt Klarna hohe Verluste, im ersten Quartal 2022 kommen um die 240 Millionen Dollar zusammen. Klarna wächst stark und positioniert sich unter anderem erfolgreich im Bereich BNPL (Buy Now, Pay Later) – ein Zweig, der im Moment jedoch einbricht und aufgrund steigender Zinsen und zu erwartenden regulatorischen Einschränkungen massiv leidet.
Klarna ist ein hochinteressantes und strategisch klug operierendes FinTech, nur: es schleckt keine Geiss weg, dass das Unternehmen noch eher weit davon entfernt ist, profitabel zu arbeiten. Die Downround bei Klarna dürfte nicht die letzte sein, auch bei anderen FinTechs könnten die Bewertungen bei nächsten Finanzierungsrunden sinken.
Bei Klarna wirkt die Rückstufung allerdings ungewöhnlich heftig – ein Indikator dafür, dass die Übertreibungen in die andere Richtung bei der letzten Finanzierungsrunde ebenso heftig und euphorisch ausgefalen sind. Michael Moritz, Partner bei Sequoia, seit 2010 Investor bei Klarna, zum Thema:
Die Verschiebung in der Bewertung von Klarna ist ausschliesslich darauf zurückzuführen, dass die Anleger plötzlich völlig anders abgestimmt haben als in den letzten paar Jahren
Moritz unterstreicht "die Ironie" des Vorgangs, weil das Geschäft von Klarna, die Position in verschiedenen Märkten und die Beliebtheit bei Verbrauchern und Händlern stärker wäre als jemals zuvor.
Nachdem die aktuelle Finanzierungsrunde ausschliesslich von grossen VCs durchgeführt worden ist, will Klarna seinen über tausend kleineren Shareholders eine anteilsmässige Beteiligung an einem Prozess ermöglichen, der in den kommenden Wochen gestartet werden soll.
Wefox erhält 400 Millionen Dollar – Bewertung um 50 Prozent erhöht
Das deutsch-schweizerische InsurTech Wefox mit Sitz in Berlin hat in diesen Tagen eine Series-D-Finanzierungsrunde abgeschlossen und 400 Millionen US-Dollar eingesammelt. Mit dem frischen Kapital will Wefox die Produktentwicklung vorantreiben sowie in ganz Europa und danach in Asien und den USA expandieren. Das InsurTech war seinen Investoren bereits vor einem Jahr 650 Millionen US-Dollar an neuem Kapitalzufluss wert und dürfte nun hervorragend ausgestattet sein für die definierten Wachstumsziele.
Die Post-Money-Bewertung ist von den Investoren auf 4.5 Milliarden Dollar hochgestuft worden. Wefox widersetzt sich damit dem allgemeinen Trend der Downrounds. Julian Teicke, CEO und Gründer von Wefox, zum Thema:
Diese neue Bewertung von 4.5 Milliarden US-Dollar ist eine klare Bestätigung unseres Geschäftsmodells, das sich auf den indirekten Vertrieb über Agenten und nicht auf den direkten konzentriert, das macht unser Unternehmen derzeit zu einem der glaubwürdigsten InsurTechs auf dem Markt
Die neue Bewertung dürfte weniger mit dem Übermut der Investoren, mehr mit Zahlen und klaren Erwartungen zu tun haben. Wefox verdoppelt weiterhin seine Einnahmen und hat im vergangenen Jahr das Ziel von 320 Millionen US-Dollar erreicht. Innerhalb der ersten vier Monate des laufenden Jahres hat das InsurTech mehr als 200 Millionen Dollar Umsatz erwirtschaftet und ist damit auf Kurs, das definierte Umsatzziel von 600 Millionen Dollar bis Ende 2022 zu erreichen. Was mit bisher mehr zwei Millionen Kunden möglich war, soll sich bis Ende Jahr mit drei Millionen Kunden positiv auf die weitere Umsatzentwicklung auswirken.
Wichtigster Punkt, neben erfreulichem Wachstum behält das Unternehmen die Profitabilität im Auge. Das InsurTech ist überzeugt, an dieser Marke 2024 anzukommen und schliesst dabei nicht aus, dieses Ziel vielleicht schon 2023 zu erreichen.
Stableton erhält 15 Millionen Franken – ohne Angaben zur Bewertung
In einer Series-A-Finanzierungsrunde hat das Schweizer FinTech Stableton 15 Millionen Franken eingesammelt. Interessanter Neu-Investor: die Runde ist von TX Ventures angeführt worden, dem VC-Arm der TX Group. Damit hat das FinTech ein grosses Schweizer Medienhaus im Rücken.
Stableton positioniert sich als FinTech-Plattform für alternative Anlagen. Seit der Seed-Runde im letzten Jahr hat das FinTech nach eigenen Angaben das verwaltete Vermögen um das 7,5-fache gesteigert. Stableton weist mehr als 2'500 Marktplatznutzer und fast 500 Produktanlegern allein in der Schweiz aus und zählt inzwischen mehr als zwei Prozent der Schweizer Finanzintermediäre zu seinen Kunden.
Mit dem frischen Kapital will das FinTech seine strategischen Investitionen in den Bereichen Betrieb, Strukturen sowie Regulierung und Compliance verdoppeln und gleichzeitig seine Marketing- und Vertriebsaktivitäten international skalieren und zu replizieren. Oder konkreter ausgedrückt: Stableton wird die Mittel nutzen, um bestehende Aktivitäten in der Schweiz auszubauen, das technologische Angebot und die verfügbaren Anlagestrukturen zu erweitern sowie in den kommenden Monaten international zu expandieren.
Krzysztof Bialkowski, Investment Director bei TX Ventures, zum Engagement der TX Group:
«Stableton hat ein beeindruckendes Wachstum gezeigt und ist gut positioniert, um seine erstaunliche Entwicklung in einem äusserst attraktiven Markt fortzusetzen. Wir sind stolz darauf, einen Beitrag zur Demokratisierung der Privatmarktanlagen zu leisten und sind überzeugt, dass das hervorragende Team von Stableton erfolgreich sein wird – die Zukunft sieht für Stableton sehr vielversprechend aus.»
Weder TX Group noch die anderen beteiligten Investoren (C3 EOS VC Venture Fund und DEWB) drücken den gemeinsamen Optimismus in einer neuen Bewertung von Stableton aus, dazu werden keine Zahlen kommuniziert. Ganz falsch ist das wahrscheinlich nicht, so kann das FinTech in Ruhe und dennoch dynamisch weiterwachsen – und es sind keine öffentlich kommunizierten Downrounds zu erwarten, die jedem FinTech, auch sehr erfolgeichen, einen gehörigen Dämpfer aufsetzen.